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Sport: Der rettende Strohhalm

Manche Medikamente könnten Schwerkranken helfen, sind aber nicht erlaubt

Nicht nur, dass schwer kranke Menschen, beispielsweise Krebspatienten, mit ihrer Krankheit zu kämpfen haben, mitunter kommt auch noch der Kampf um neue Medikamente hinzu: Denn manchmal gibt es ein neues Medikament, der Arzt darf es aber nicht verschreiben, weil es hierzulande offiziell noch nicht zugelassen ist.

Bei welchen Krankheiten welche Medikamente auf welche Art und Weise anzuwenden sind, ist in der amtlichen Zulassung genau geregelt. Doch darüber hinaus weiß ein gut informierter Arzt manchmal von neuen Wirkstoffen, die dem betreffenden Patienten unter Umständen besser helfen könnten. Auch wenn sie für das Krankheitsbild noch nicht zugelassen sind, ist das für den Schwerkranken oft ein rettender Strohhalm, und die Krankenkassen haben diese Praxis lange toleriert. In Zeiten knapper Kassen jedoch sperren sie sich zunehmend gegen eine Kostenübernahme selbst dann, wenn wissenschaftliche Studien eine positive Wirkung belegen. Die Patienten sind meistens nicht in der Lage, das Medikament selbst zu bezahlen.

Auf die Klage einer Multiple-Sklerose-Patientin hat das Bundessozialgericht 2002 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass ein Medikament zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur in dem Anwendungsbereich verordnet werden kann, für den es offiziell zugelassen ist: „Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsbereich kommt nur in Betracht, wenn es (1) um die Behandlung einer schwer wiegenden Erkrankung geht, wenn (2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3) die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.“

Ob der Patient schwer oder lebensbedrohlich erkrankt oder welche die beste Therapie ist, bleibt freilich Auslegungssache. In der Regel bezahlt die gesetzliche Krankenkasse zunächst das Medikament, fordert jedoch später die Kosten zurück. Sie werden über die Kassenärztliche Verrechnungsstelle von den Arzthonoraren einfach abgezogen. Vor wenigen Jahren waren es noch Einzelfälle, in denen vor den Leistungsausschüssen gestritten wurde, heute geht es um tausende von Regressanträgen. Privat Versicherte erhalten die Therapie in der Regel erstattet. „Eine echte Zwei-Klassen-Medizin“, kritisiert Ulrich Keilholz, Onkologe an der Berliner Charité und Off-Label-Experte der Deutschen Krebsgesellschaft.

Ist ein Arzt vorsichtig und bringt seine Patienten gar nicht erst auf kostspielige Ideen, ist er damit keineswegs auf der sicheren Seite. Das Gesetz verpflichtet ihn, seine Therapie nach dem aktuellen medizinischen Standard durchzuführen. Tut er es nicht, macht er sich eines Behandlungsfehlers schuldig, was straf- und zivilrechtliche Folgen hat. Die können allerdings auch eintreten, wenn er eine so genannte „Off-Label-Therapie“ durchführt und die Erkrankung einen problematischen Verlauf nimmt. Keilholz: „Wir machen uns oft strafbar, egal, was wir tun.“

Um für Ärzte Klarheit zu schaffen, richtete das Bundesgesundheitsministerium 2002 eine Expertengruppe ein. Das Arbeitsergebnis nach zweieinhalb Jahren: eine Empfehlung an den Gemeinsamen Bundesausschuss. Für zwölf weitere Substanzen liegen Prüfungsaufträge auf dem Tisch – doch Stellungnahmen fehlen bislang. Laut Verband forschender Arzneimittelhersteller wird die Dringlichkeit der in Bearbeitung befindlichen Substanzen von der Expertengruppe offensichtlich nicht realistisch genug eingeschätzt.

Off-Label-Therapien beginnen meistens in Krankenhäusern. Diese rechnen nicht den Medikamentenverbrauch ab, sondern nach Fallpauschalen. Patienten stehen dann allerdings oft vor der Situation, dass Mittel, die ihnen bei der Behandlung in der Klinik gut geholfen haben, vom Hausarzt nicht verschrieben werden können. In diesem Fall sollte bei der zuständigen Krankenkasse ein Kostenübernahmeantrag gestellt werden. Ergeht ein negativer Bescheid, empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit einer Selbsthilfegruppe.

Kontaktadressen unter: www.vfa.de. Ein Merkblatt gibt es unter: www.leukaemie-hilfe.de.

Manfred Godek

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