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Sport: Der Rücken der Vorderleute

Waldemar Schwendemann, Fußballfan im Rollstuhl, prüft das WM-Stadion Dortmund auf Behindertentauglichkeit

Waldemar Schwendemann schüttelt den Kopf und rollt ein Stückchen vor. Die Überdachung der Trainerbank rechts von ihm verdeckt die Sicht auf die Eckfahne im Dortmunder WM-Stadion. Schwendemann greift in die Innentasche seiner Jacke, holt sein Mobiltelefon heraus. Der Rollstuhlfahrer weiß, wen er anzurufen hat.

Der 61-Jährige ist, auch wenn es ihm nicht auf den ersten Blick angesehen wird, ein Funktionär. Waldemar Schwendemann ist Vorsitzender einer Arbeitsgemeinschaft, die sich um die Belange behinderter Fußballfans kümmert. Die BBAG, kurz für Bundesbehindertenfanarbeitsgemeinschaft, hat Qualitätsrichtlinien für die Stadionbetreiber aufgestellt, die sowohl von der Deutschen Fußball- Liga (DFL) als auch vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) – und somit auch dem WM-Organisationsteam – übernommen wurden. Das Länderspiel Deutschland gegen die USA nutzt der Mann aus Offenburg (Baden-Württemberg) zu einem letzten Check: Vor dem Anpfiff nimmt er zentrale Punkte in Augenschein, während des Spiels ist er Ansprechpartner für die Rolli-Fans und ihre Begleiter.

Schwendemann steckt sein Handy ein. Er lächelt ein wenig. Die Sichtbeeinträchtigung, so hat es sein Stellvertreter im Verband, Volker Sieger, ein Dortmund-Kenner, gerade am Telefon gesagt, wird wohl beseitigt oder zumindest verkleinert. Eine gute Nachricht für die Rollstuhlfahrer. 70 Plätze gibt es im WM-Stadion für sie plus Begleitperson – verteilt auf Haupt- und Gegentribüne. Es gibt jedoch nur drei behindertengerechte Toiletten, und die nur auf einer Seite. In der Halbzeit hat sich vor dem Eingang der Toiletten eine lange Schlange gebildet. Das Lächeln ist Schwendemann längst verflogen. Allerdings soll es, das hat er bereits im nächsten Telefongespräch erfahren, bis zur WM eine weitere Toilettenanlage für Behinderte geben, die dann näher zu deren Plätzen ist.

Es sind scheinbar banale Dinge, die von der BBAG gefordert werden: stadionnahes Parken, ebenerdiger Zugang zu den vorgesehenen Plätzen abseits der Hauptzuschauerströme, keine starken Schrägen, Verkaufsstände mit niedrigen Theken und eine gute Sicht aufs Spielfeld. Doch ohne den Einfluss von Schwendemann und seinen Kollegen in den jeweiligen Rolli-Fanclubs gäbe es das nicht. Und selbst die neuesten WM-Stadien offenbaren kleine Fehlerquellen. So gibt es Stadien, in denen direkt vor den Rollstuhlfahrern Sitzplätze montiert sind. Stehen diese Fußballfans auf, etwa weil ein Tor fällt oder die Gesänge das fordern, sieht der behinderte Fan nur die Rücken der Vorderleute. Oder die vorgesehene Tiefgarage ist zu niedrig, um Fahrzeuge mit höherem Dach, wie bei einigen Behindertentransportern üblich, aufnehmen zu können.

Manche Dinge lassen sich nicht ändern; so wie die Schräge im Dortmunder Stadion von der Zugangsebene hinunter zum Spielfeld. Für die Begleiter bedeutet sie eine Kraftanstrengung, um die Rollstuhlfahrer zu ihren Plätzen oder hinauszubringen. „Zum Glück sind die Ordner sehr hilfsbereit“, sagt ein alleinreisender Fußballfan in der Halbzeitpause. Gut zu wissen, denn Schwendemann ist ebenfalls oft ohne Begleitung im Stadion.

Auf der Checkliste der BBAG steht hinter jedem der zwölf WM-Stadien ein „gut“, nur selten mit Fragezeichen versehen. Das bedeutet keine Infragestellung der Qualität, sondern dokumentiert lediglich, dass es seit der letzten Begutachtung Veränderungen gegeben hat, die auch die Belange behinderter Fans betreffen können. Schwendemann aber ist zufrieden mit den Ergebnissen.

Wie er seine Arbeit macht, ist in Dortmund gut zu besichtigen. „Waldemar“ ist auf seine schwarz-rot-goldene Kappe gestickt, die Unterschriften der Nationalspieler finden sich dort und auf dem weißen Trikot, das der 61-Jährige trägt. Schwendemann fällt auf, vor allem weil er das Gespräch mit den Männern in den feinen Anzügen, den Herren vom DFB und vom Organisationskomitee der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, aktiv sucht. Er ruft und gestikuliert. Auch DFB-Präsident Theo Zwanziger kommt an ihm nicht ohne ein kurzes Gespräch vorbei. Es ist auch ein Ergebnis dieses offensiven Auftretens, dass die Fußballvertreter auf die Belange der Rollstuhlfans Rücksicht nehmen.

Patrick Merck[Dortm]

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