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Der Diskuspapst. Robert Harting bedankt sich beim Ringboden in Daegu mit einem Küsschen. Foto: dpa

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Sport: Der schmerzhafte Triumph

Der Berliner Robert Harting gewinnt angeschlagen Gold im Diskuswerfen

Robert Harting gab den Fotografen einen kurzen Tipp. Er zupfte an seinem Trikot. „Die Show beginnt gleich“, bedeutete die Geste. Dann, eine Sekunde später, zerriss der Hüne sein Trikot, er riss es von oben bis unten auseinander, es war der gleiche Kraftakt, den er bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 gezeigt hatte. Aber es war ja auch der gleiche Anlass wie damals: Robert Harting aus Berlin ist auch 2011 Weltmeister im Diskuswerfen geworden. Nur hatte er Gold nicht im letzten Versuch geholt wie 2009, diesmal hatte er im vierten Versuch die Scheibe auf die Siegweite geschleudert: 68,97 Meter. Seinen Sieg widmete er einem befreundeten Soldaten, der im Mai in Afghanistan ums Leben gekommen war: „Ich weiß, dass du zuguckst.“

Was für ein Triumph. Er hatte Probleme mit seiner Patellasehne, er hatte drei schmerzstillende Spritzen bekommen, er war volles Risiko gegangen. „Gold oder Silber muss es sein, Bronze funkelt nicht“, hatte er vor dem Wettbewerb gesagt. Und es ging gut. Das Risiko hatte sich gelohnt. Silber sicherte sich Olympiasieger Gerd Kanter (Estland) mit 66,95 Meter, Bronze holte der Iraner Ehsan Hadadi mit 66,08 Meter.

Als dritter Werfer war Harting in den Ring gegangen. Mit einer klaren Taktik. „Wegen meiner Probleme wollte ich gleich im ersten Versuch ein Maß setzen und die anderen ein wenig schocken. Da ich bereits als Dritter werfen konnte, war das meine große Chance.“ Für den Schock sorgte er prompt, begleitet von einem Urschrei. Mit Gebrüll verfolgte er, wie seine Scheibe flog und kurz vor der 70-Meter- Markierung auf den Rasen plumpste. Es dauerte viel länger als üblich, bis die Weite auf der Anzeigetafel aufleuchtete. Offenbar mussten die Kampfrichter ein zweites Mal messen aufgrund eines technischen Fehlers – oder hatten sie die Weite nicht glauben können? Als schließlich 68,49 Meter aufleuchteten, sprang Harting vor Freude in die Höhe. Die Spannung löste sich in diesem Moment. Die Qualen waren so groß. „Es tat so weh heute, das hat mich tierisch genervt. Die Spritzen haben wohl nur zu 60 Prozent getroffen“, sagte er.

Doch er wusste nicht, wie lange die Schockstarre seiner Gegner anhalten würde. Deshalb legte er in die nächsten Versuche noch mal alles, was er hatte. Im dritten Versuch landete die Scheibe bei 68,10 Meter. Wer gedacht hatte, dass bei dem Berliner nun die Spannung raus war, der hatte sich getäuscht. Denn nun kam noch der vierte Versuch, nun kam der grandiose Höhepunkt der sportlichen Show des Titelverteidigers.

Niemand kam an diesem Abend auf das Niveau des Robert Harting. Der Weltjahresbeste Zoltan Kovago aus Ungarn hatte nicht einmal das Finale erreicht. Harting überraschte das nicht. Der Ungar hatte zwar vor der WM einmal weiter als 69 Meter geworfen, aber Harting wusste, dass dies ein Ausrutscher nach oben gewesen war. Denn die übrigen Versuche des Ungarn waren damals bei dem Wettbewerb in der Nähe der 64-Meter-Marke gelandet.

Im Finale standen die üblichen Verdächtigen der Diskusszene, und die nahm Harting verdammt ernst. Und die Gegner waren so beeindruckt, dass sie diesen angeschlagenen Deutschen nicht besiegen konnten. Harting ist erst der dritte Diskuswerfer der WM-Geschichte, der seinen Titel verteidigen konnte. Zuletzt gelang dies Virgilijus Alekna (Litauen) in den Jahren 2003 und 2005. Unübertroffen bleibt die Serie von Lars Riedel, der von 1991 bis 1997 viermal triumphierte und dann auch noch 2001 gewann. Aber Harting ist mit 26 Jahren noch jung. Er hat das Potenzial, eines Tages selbst zu den Legenden seiner Disziplin zu gehören.

Unmittelbar nach seinem letzten Versuch sagte der Berliner: „Vor zehn Wochen hatte ich noch gedacht, die WM fällt für mich aus.“ Dann humpelte Robert Harting davon. Als Weltmeister.

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