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Sport: Der Sonntagsschuss: Im Sande

Staubtrockene Nullnulls langweilten das Publikum in Mali zu Beginn der Fußball-Meisterschaft auf dem schwarzen Kontinent. Nach den gähnend langweiligen Gruppenspielen fielen in den Tagen der Entscheidung dann doch noch Tore.

Staubtrockene Nullnulls langweilten das Publikum in Mali zu Beginn der Fußball-Meisterschaft auf dem schwarzen Kontinent. Nach den gähnend langweiligen Gruppenspielen fielen in den Tagen der Entscheidung dann doch noch Tore. Auch die Qualität der Spiele auf den buckligen Rasenflächen wurde etwas besser. Aber nicht viel. Und ganz bestimmt war es nicht wie einst.

"1990, als Roger Milla die Eckfahne betanzte, übernahmen die Afrikaner die Rolle des sentimentalen Favoriten von den europäisierten Südamerikanern", schreibt Christian Eichler in seinem "Lexikon der Fußballmythen". Besonders mythisch waren vor allem die Schwarzafrikaner. Verzaubert von Millas Lambadatänzen wurde damals gerne übersehen, dass die Kameruner brutal verteidigt und überhaupt sehr defensiv gespielt hatten. Erst als sie im Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Italien ihre eiserne Verteidigung lockerten, unterlagen sie auf romantische Weise mit 2:3 gegen England.

Trotzdem machte nicht nur der Feuilletonist Helmut Böttiger in den Spielern aus Kamerun, Nigeria oder Ghana die "Hoffnung von den Rändern" aus. Die verblüffende Spielkunst schien eine Tür aufzustoßen. "Mittlerweile ist nur noch Afrika im Kommen, Europa hat das hinter sich. Wo man sich umschaut, sind nur noch Endpunkte", meinte Böttiger. Damit wurde zugleich der alte Kulturstreit - das Wilde gegen die erlahmende Zivilisation - stellvertretend auf dem Fußballplatz ausgetragen.

Ein wenig davon durchzieht die Diskussionen um den Fußball aus Afrika immer noch, obwohl sich die Umstände grundlegend geändert haben. Waren Souleyman Sane, Tony Baffoe oder Anthony Yeboah vor einigen Jahren noch bestaunte Exoten in der Bundesliga, sind afrikanische Fußballer inzwischen selbstverständliche Mitglieder im deutschen Profibetrieb und überall sonst in Europa. Beliebt beim Publikum sind sie zumeist auch, wo sie es sogar oft leichter haben als ihre Kollegen aus Jugoslawien oder Rumänien.

Viele der Spitzenspieler, die derzeit in Mali um den kontinentalen Titel kämpfen, haben eine europäische Fußballausbildung durchlaufen. Besonders augenfällig ist das beim senegalesischen Team, das komplett in Frankreich spielt und dessen Mitglieder zum großen Teil schon als Jugendliche dorthin kamen, nachdem sie zuvor in Dakar in privaten Fußballschulen waren. Wildwüchsiges Talent, auf staubigen Plätzen in irgendwelchen Slums von Accra, Lagos oder Dakar entdeckt - so etwas ist inzwischen die Aunahme, auf Spitzenniveau jedenfalls.

All das müsste, so könnte man meinen, zu einer Art Brasilien-Effekt beitragen. Dort wird seit nun fast schon fünf Jahrzehnten ungeheures Bewegungstalent unter professionellen Bedingungen veredelt. Doch afrikanische Nationalmannschaften haben immer noch mit Problemen zu kämpfen, die den Durchbruch zur absoluten Spitze wohl auch bei der kommenden Weltmeisterschaft verhindern werden.

Selten etwa gelingt es den Verbänden, wirkliche Spitzentrainer zu verpflichten, die auf dem neuesten Stand des Fußballs sind und zugleich genug Intuition und Sensibilität für die besondere Aufgabe in unterentwickelten Ländern mitbringen. Winfried Schäfer geht zweifellos mit Geschick und Einfühlungsvermögen an seine Aufgabe als Nationaltrainer Kameruns heran. Aber ist es wirklich adäquat, dass die vielleicht stärkste Mannschaft Afrikas von einem Coach betreut wird, der zuletzt in der Bundesliga, anschließend in der Zweiten Liga scheiterte und mit seinen Spielern weder auf Englisch noch Französisch kommunizieren kann?

Sichtbar wird das Trainerproblem bei den Partien in Mali an rückständigen Spielentwürfen, die viel defensiver und schablonenhafter sind als woanders üblich. Darüber hinaus wirkt es mitunter zwar schon wie ein rassistisches Stereotyp, die Anekdoten vom organisatorischen Chaos aneinander zu reihen, aber sie gehören leider zum Alltag. Die Fußballverbände sind zumeist arm und starkem politischen Druck ausgesetzt, weil sie von den Regierungen finanziert werden. Gutwilligen Funktionären fehlt oft die Kompetenz, böswillige stecken alles Geld ein, dessen sie im Dunstkreis ihrer Nationalmannschaften habhaft werden können.

Viele Spieler sind davon tief frustriert. Selbst wenn sie aus Nationalstolz weiter die Strapazen der Reisen nach Afrika auf sich nehmen - unter diesen Bedingungen dürften sie sich kaum in der Weltspitze etablieren. Sollten die Finalspiele der bis kommenden Sonntag weiterlaufenden Afrikameisterschaft mehr Spaß machen, als es bislang der Fall war, als Vorboten eines afrikanischen WM-Sommers wird man auch das nicht deuten können. So ernüchternd das klingt: Nachhaltig konkurrenzfähig werden die nach wie vor beeindruckenden afrikanischen Talente erst dann sein, wenn das Umfeld der Teams so professionell ist, wie viele Spieler es schon sind.

Christoph Biermann

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