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Sport: Der Sonntagsschuss: Platzverweis für den Libero

Das Ende kam still und doch nicht unerwartet. Als das "Kicker Sportmagazin" dieser Tage seine Rangliste des deutschen Fußballs festlegte, nominierten die Redakteure zum ersten Mal seit 1971 keinen Libero mehr in der Kategorie Weltklasse oder Internationale Klasse, nicht einmal Im weiteren Kreis oder zumindest Im Blickfeld tauchte einer auf.

Das Ende kam still und doch nicht unerwartet. Als das "Kicker Sportmagazin" dieser Tage seine Rangliste des deutschen Fußballs festlegte, nominierten die Redakteure zum ersten Mal seit 1971 keinen Libero mehr in der Kategorie Weltklasse oder Internationale Klasse, nicht einmal Im weiteren Kreis oder zumindest Im Blickfeld tauchte einer auf. Das war jedoch nicht die Folge eines erschreckenden Mangels an Talent oder fußballerischer Klasse in der Bundesliga. Die Fachzeitschrift hatte, den Entwicklungen des modernen Fußballs gehorchend, den Libero schlichtweg gestrichen. Nach zähem Ringen musste die Fußballnation somit ganz offiziell Abschied nehmen von der Position, die jahrzehntelang für die der Könige auf dem Platz gehalten worden war - respektive jene des Kaisers.

Mitte der sechziger Jahre hatte es Franz Beckenbauer in der bereits damals aufgestellten "Rangliste des deutschen Fußballs" zu einer Doppelnennung gebracht. Unsicher, was es denn mit seiner hybriden Spielweise auf sich hatte, wurde er als Mittelläufer und im Mittelfeld zugleich bewertet. Dann verschwand der Mittelläufer, der im alten WM-System jahrzehntelang die Verbindung zwischen Defensive und Offensive hergestellt hatte. Nachfolger wurde der Libero, wie ihn Franz Beckenbauer erfunden hat. Als Verteidiger, der hinter seinen Manndeckern absichert und sich dann gelegentlich mit dem Ball am Fuß aufmacht und den Gegner in dessen Spielhälfte verblüfft.

Weil Franz Beckenbauer sein Doppelspiel mit solch unerhörter Eleganz und ebensolchem Erfolg betrieb, war die Position des Liberos im deutschen Fußball fortan den Künstlern vorbehalten oder jenen, die man dafür hielt. Vasallenhafter Deckungsarbeit gegenüber gegnerischen Stürmern enthoben, galt er dem Publikum neben dem Spielmacher als Inspirator des deutschen Spiels. So wartet selbst heute manch einer wohl immer noch auf die Wiederkehr eines Günter Netzer oder jenes kaiserhaften Liberos, und damit auf die Rückkehr des deutschen Fußballs an die Weltspitze.

Dabei hatte genau jenes Beharren auf dem Libero im vergangenen Jahrzehnt viel mit dem Absinken deutscher Kickerei auf provinzielles Niveau zu tun. Während die Verteidiger in anderen Ländern nämlich längst gelernt hatten, auch ohne Absicherung durch einen freien Mann auszukommen, boten deutsche Teams zumeist noch einen Libero auf. Der fehlte dann im Mittelfeld, wo die Spiele gewonnen werden. So wurde der Libero immer häufiger vor die Abwehr beordert, bis er eigentlich kein Libero mehr war. Bei Matthias Sammer war das so, als bei der Europameisterschaft 1996 der letzte große Titel gewonnen wurde. Aber das war nur ein Zwischenschritt.

Sebastian Kehl etwa, der als eines der größten Fußballtalente des Landes gilt, wurde beim SC Freiburg zwar noch Libero genannt, aber eigentlich spielte er im defensiven Mittelfeld. Bei Bayer Leverkusen nimmt diese Position Carsten Ramelow ein. Man könnte den Nationalspieler auch Libero vor der Abwehr nennen. Was dann aber auch für Michael Ballack gelten müsste, der sich oft ähnlich weit zurückfallen lässt, aber in Leverkusen als Mittelfelddirigent gilt.

Schon an diesen Beispielen sieht man, dass sich die Sache verkompliziert hat und alte Etikettierungen im extrem verdichteten Spiel von heute kaum noch weiterhelfen. Die Idee eines Solisten in der Abwehr ist dabei genauso obsolet geworden wie der Traum vom Mittelfeldgenie, das umgeben von einer Armada von Wasserträgern mit großer Künstlergeste seinen Inspirationen folgt. Solche Arbeitsteilung ist passé und mit ihr der Libero.

Dass er nun auch hier zu Lande für tot erklärt worden ist, ist nur der Vollzug einer Entwicklung, die allerdings noch nicht überall angekommen ist. Wahrscheinlich wird manch stolzer Libero eines Freizeitteams erbost widersprechen. Denn selbstverständlich gibt es in unserem Land noch Tausende von freien Männern. Doch ungestört von den Entwicklungen des modernen Fußballs entfalten sie ihren Zauber eben nur im Amateurfußball. Bei Profiteams finden wir diese Position bestenfalls noch bei jenen, die rettungslos unterlegen sind. Dort überlebt der Libero nur in seiner schmucklosen Form, weil vor lauter Verzweiflung noch die Helferstelle eines Ausputzers eingerichtet werden musste. Wie in solchen Fällen überhaupt möglichst viele Leute nach hinten beordert werden, damit es nicht ganz so arg wird. In der Bundesliga gilt das für Energie Cottbus und den FC St. Pauli, den Erfolg kann man an der Tabelle ablesen - an ihrem Ende.

Christoph Biermann

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