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Sport: Der Sorgenfänger

Der frühere Torwart Jörg Schmadtke hat aus dem Skandalverein Alemannia Aachen einen Aufstiegskandidaten für die Fußball-Bundesliga gemacht

Aachen. Jörg Schmadtke geht ungern nach vorn. „Nur wenn es mal nötig ist.“ Aber selbst wenn es rappelt in Alemannia Aachens Skandalkiste, schlägt der frühere Torwart mit seiner großen Faust nicht auf den Tisch, sondern reagiert so: „Ich werde nachdenklich.“ Schmadtke sagt dann, was Sache ist. Als Daniel Gomez des Dopings überführt wurde zum Beispiel. Oder als Aachener Fans mit einem Feuerzeugwurf gegen den Nürnberger Trainer Wolfgang Wolf die Herbstmeisterschaft in der Zweiten Fußball-Bundesliga verhinderten. „Der Verlierer ist der Sport“, sagte Schmadtke, und jeder wusste, dass Aachen der Verlierer war. „Natürlich ist das ärgerlich, wenn sportlich alles stimmt und einem Steine in den Weg gelegt werden, die man selbst nicht herbeigeschafft hat“, sagt Schmadtke. Aber das gehöre zu seinem Job. Er sei Manager und Krisenmanager. Und manches sei eben nicht kalkulierbar. Vielleicht sind einstige Torhüter die besseren Manager, weil sie das Spiel aus dem Hintergrund lesen können und die plötzlich auftretenden Krisen im Fünfmeter-Raum schnell erkennen können. „Da musst du einen klaren Kopf behalten.“

Das kann Schmadtke. Aus dem Aachener Sorgenkind, „hoch verschuldet und ohne sportliche Perspektive“, hat der 39 Jahre alte frühere Torwart von Fortuna Düsseldorf und dem SC Freiburg seit November 2001 einen Aufstiegsaspiranten gemacht. Selbst den Abgang des Erfolgssturms Miroslav Spizak und Josef Ivanovic, die die Alemannia in der vergangenen Saison zusammen mit 20 Toren auf Platz sechs geschossen hatten, konnte er erfolgreich ausgleichen. Die Neuzugänge Erik Meijer vom HSV und U-21-Nationalspieler Emmanuel Krontiris haben bereits neun Tore erzielt, Mittelfeldspieler Stefan Blank drei und dazu noch vier Vorlagen geliefert. Die Abwehr steht kompakt. „Beängstigend gelungen“ sei die Mannschaft, hat Schmadtke nach dem überragenden 5:0 im Pokalspiel gegen Braunschweig gesagt. Der Mann mit dem Lockenkopf zeigt einen guten Riecher für gute Amateure. Er allerdings begründet den Erfolg mit der Qualität seiner Ohren. „Ich kann gut zuhören, wenn man sich über Spieler unterhält. Dann informiere ich mich und schaue sie mir persönlich an.“ Schmadtke ist Dauergast in den Stadien der Regionalligaklubs. Denn finanzielle Höhenflüge kann sich der mit vier Millionen Euro verschuldete Verein nicht leisten. Die letzte Verpflichtung war Rostocks einstiger Stürmerstar Bachirou Salou, der übergangsweise bei einem Landesligisten kickte. „Aber Pläne gibt es immer“, sagt Schmadtke, der im Jahr zwischen 60 000 und 80 000 Kilometer fährt.

In Aachen sitzt Schmadtke während der Spiele auf der Bank neben Aufstiegs-Abstiegs-Spezialist Jörg Berger. „Die Stimmung ist sehr gut“, sagt Schmadtke. Die beiden sind ein eingespieltes Team seit der Katastrophen-Saison 2001/2002, als die Aachener dem sportlichen und finanziellen Abstieg noch von der Schippe sprangen. Schmadtke kam über eine Anzeige im „Kicker“ ins Management der Aachener, fühlte sich bei der Alemannia zwar in einer merkwürdigen Situation, hatte aber keine Angst zu scheitern.

Schmadtke stellte trotz sinkender Einnahmen Mannschaften zusammen, die immer besser waren als erwartet, und er verzichtete wie viele im Verein auf Teile seines Gehalts. Er findet: „In Aachen wird das Wir-Gefühl gelebt.“ Das könnte auch ein Verdienst Schmadtkes sein. Präsident Horst Heinrichs jedenfalls bestätigte seine Leistungen, indem er seinen Vertrag bis 2007 verlängerte. „Ich bin nicht mehr im ersten Lehrjahr“, sagt Schmadtke selbstbewusst. Die Vision sei der Aufstieg, „sonst wäre ich kein Manager“.

Die Nullnummern in den letzten beiden Spielen der Hinrunde gegen Ahlen und Karlsruhe sieht er da nicht als Rückschlag. „Wir haben die stabilste Mannschaft der Zweiten Liga. Und außer gegen Cottbus haben wir alle Aufstiegsfavoriten geschlagen. Wir sind auf einem guten Weg.“ Zu Hause ist der kleinste Kader der Zweiten Liga bei 20 Punkten und 15:4 Toren immer noch ungeschlagen. Die Alemannia ist Vierter mit einem Punkt Rückstand auf den Ersten. Und da ist ja noch das Spiel gegen Nürnberg, das Ende Januar am Tivoli wiederholt wird.

Das Stadion atmet noch die Luft von 1969, als Aachen sensationell Vizemeister wurde und 1970 ebenso sensationell wieder abstieg. Das alte Stadion bröckelt etwas, und nur die Videoleinwand deutet an, dass Fußball aus dem 21. Jahrhundert gespielt wird. Der Tivoli ist ein Denkmal, das längst aufgehört hat, Denkmal zu sein. Denn die Alemannia hat es in den vergangenen 20 Jahren verkommen lassen. „Da muss auch noch was passieren am Stadion“, sagt Schmadtke. Es ist auch schon etwas passiert. Die modernere Alemannia sitzt heute in Schnellbaubüros an der Krefelder Straße. Auch Schmadtkes Brille sieht sehr modern aus. Der Pressechef heißt Medienberater. In einem der hellen Räume hängt ein schönes Foto. Darauf läuft Kapitän Karlheinz Pflipsen durch einen engen Gang auf eine offene Tür zu. Es ist nicht zu sehen, wohin der Weg führt. Aber dort am anderen Ende scheint das Licht, hell und ein bisschen grell – wie der schöne Schein der Fußballmoderne.

Ingo Petz

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