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Sport: Der Staat zockt mit

Private Sportwetten sind künftig erlaubt – unter strengen Auflagen. Die Politik will Spieler vor ihrer Sucht schützen. Geht das überhaupt?

Berlin - Es beginnt mit der Lust auf den kurzen Nervenkitzel. Wer hat den nächsten Einwurf? Fällt in der ersten Halbzeit noch ein Tor? Eine kleine Wette nebenbei kann selbst das langweiligste Fußballspiel interessant machen. Anfangs gewinnt man womöglich den einen oder anderen Euro. Doch irgendwann gerät die Wettbilanz ins Minus. Und schon steht man an der Schwelle zur Spielsucht – meint zumindest Gerhard Meyer. Der Spielsuchtexperte von der Universität Bremen sagt: „Die Möglichkeit, mit den Livewetten seinen Verlust sofort wieder reinzuholen zu können, beinhaltet ein hohes Suchtpotential.“ Wenn das stimmt, kann der kleine Nervenkitzel schnell teuer werden.

In dieser Woche haben sich die Ministerpräsidenten der Länder in Berlin über einen neuen Glücksspielstaatsvertrag verständigt. Grundlage ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach das in Deutschland gültige staatliche Wettmonopol nur zulässig ist, wenn es die Spielsuchtgefahr konsequenter bekämpft. Da das offenbar nicht geht – die staatliche Wette Oddsett bewerben, damit Steuern einnehmen und gleichzeitig vor Spielsucht zu warnen –, sollen nun private Wettanbieter zugelassen werden. Sieben Lizenzen sollen nach dem Willen der Politik vergeben werden, staatlich kontrolliert und mit Lizenzgebühren. Lässt sich damit die Spielsucht besser eindämmen?

Nach Schätzungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind in Deutschland mehr als 100 000 Menschen spielsüchtig. Besonders besorgniserregend ist demnach die Zunahme von erkrankten Jugendlichen, die im Internet wetten. Dem gegenüber stehen 3,3 Milliarden Euro, die die Bundesländer jährlich durch den Glücksspielmarkt in Deutschland einnehmen – dieses Geld wollen die Länder nicht verlieren. Von den Sportwettenumsätzen in Deutschland fließen allerdings rund 95 Prozent am Staat vorbei ins Ausland. Die Branche spricht von einem Schwarzmarkt und wünscht sich eine Öffnung des deutschen Marktes.

„Mit dem Totschlagargument des Schwarzmarktes, der aufgrund des Internets nicht zu verhindern ist, wird die Politik unter Druck gesetzt“, sagt dagegen Suchtexperte Meyer. „Auf diese Weise versucht die Glücksspielindustrie das Gesetz in ihrem Sinne zu strukturieren, etwa die Höhe der Abgaben.“ Der Umgang mit dem Glücksspiel bleibe immer eine Gratwanderung zwischen dem Schutz der Spieler sowie „einem reizvollen Angebot, um die Zocker nicht ins illegale Glücksspiel zu treiben“.

Die Länder planen, Zulassungen für einen Testzeitraum von fünf Jahren zu erteilen, sowohl für Sportwetten als auch für Online-Casinos. Live-Wetten werden nicht gestattet und der Zugang zu Online-Glücksspielen soll nur mit einem Bargeldkonto möglich sein. Wieder erlaubt wird privaten Anbietern wie „bwin“ auch die Trikot- und Bandenwerbung im Sport. Fernseh-Werbespots im Umfeld von Sportereignissen bleiben verboten. Die Werbung – für die sich insbesondere der Spitzensport eingesetzt hatte – soll also zurückhaltend bleiben. Ein Kompromiss, der den Schutz vor Spielsucht berückksichtigt.

Bwin-Deutschlandchef Jörg Wacker erklärte zum Thema Spielsucht jüngst die Sicht der Wettanbieter. „Bwin will mit den Problemen von Menschen kein Geld verdienen. Aber man muss die Kirche auch im Dorf lassen“, sagte Wacker gegenüber dem Onlinemagazin „hochgepokert.com“. „Gerade bei der Sportwette ist die Zahl der Betroffenen im Gegensatz zum Automatenspiel sehr gering und insgesamt handelt es sich beim pathologischen Spielverhalten glücklicherweise um eine seltene Erkrankung.“

Experte Meyer glaubt den Beteuerungen nicht. „Bei privaten Anbietern bleibt der Spielerschutz zwangsläufig auf der Strecke. Diese Unternehmen sind an der Börse notiert und letztlich nur ihren Aktionären Rechenschaft schuldig.“ Als Beispiel führt er den Einfluss der Spielautomatenindustrie an, die Gesetze immer wieder auf kreative Weise zu umgehen versuchten. Meyer favorisiert daher das Modell des staatlichen Wettmonopols – das allerdings würde nur mit einem Verzicht auf Werbung für Oddsett funktionieren. Diesen Weg will die Politik nicht gehen. Auch sie plant mit den Einnahmen am Nervenkitzel.

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