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Sport: Der tägliche Rekord

Über die Karriereaussichten von Dirk Nowitzki

Die Frage ist so direkt wie sinnvoll: Was hat er gewonnen? Er, unser Größter und Bester, unser German Wunderkind, unser globaler Gigant? Gar nichts hat er gewonnen. Und wenn er so weiter macht, wird es auch in Zukunft bei dieser Antwort bleiben. Dann wird Dirk Nowitzki das Schicksal eines ganz normalen US-Basketballstars ereilen. Er wird eines Tages Karriererückschau halten und dabei nichts als Statistiken sehen. Beeindruckende Zahlen, gewiss: Tausende Ligapartien, Zehntausende von Punkten und hundert Millionen Dollar – aber kein einziger Titel, womöglich nicht einmal eine Finalteilnahme. Es würde in dieser Situation schwer fallen, sich Dirk Nowitzki als glücklichen Sportler vorzustellen. Noch ist es nicht so weit. Aber die Aussicht auf solch einen unbefriedigenden Karrieregang nimmt derzeit konkretere Formen an. Erneut droht seinem Team aus Dallas ein frühes Play-off-Scheitern.

Detlef Schrempf, Nowitzkis Rollenvorgänger in der amerikanischen Profiliga NBA, weiß, wie sich ein Rückblick in die Leere anfühlt. Auch er spielte mehr als ein Jahrzehnt auf höchstem Niveau, musste aber gänzlich titellos das Feld räumen. In den Büchern des Basketballs wird der Name Schrempf bestenfalls als Fußnote Erwähnung finden. Allerdings war Schrempf nie der Spieler, dem zugetraut wurde, eine Mannschaft aus eigener Kraft zum Titel zu führen. Zum ewigen Ruhm der Meisterschaft hätte er einen wahren Riesen an seiner Seite benötigt, eben einen mächtigen Alleinentscheider wie Nowitzki es heute sein soll.

Tatsächlich ist Nowitzki von seiner Spielanlage wie geschaffen für die Heldenmaschine der NBA. Ein ausschließlich auf Punktejagd bedachter Spieler, der aus jeder Situation und Position den Abschluss sucht und so dem amerikanischen Bedürfnis nach ganz personaler Erfolgszurechnung gerecht wird. Im NBA-Basketball ist – als ausdrücklich angestrebter Sollzustand! – schließlich nicht die Mannschaft der Star, sondern der Star die Mannschaft. Wo andere Ballkulturen ein Absterben des Teamgedankens beklagen, berauscht sich Amerika an der Reduktion des Spiels auf die Leistung eines einzelnen. So sind die Nowitzki-Zahlen auch in Deutschland fester Bestandteil der täglichen Sportlektüre geworden. Nach dem Motto „unseren täglichen Rekord gib uns heute“ staunt man beim morgendlichen Brötchenbiss über 38, mal 45, zuletzt sogar 53 Punkte des Superstars. Die dazugehörigen Partien werden allenfalls in Form von Sekundenclips erlebt. Was wohl auch für alle besser so ist. Die ewigen Wiederholungsschleifen der viel zu vielen Ligaspiele sind belanglos im doppelten Sinne. Sportlich von eingeschränktem Wert kommt dem Gros der Partien keinerlei Titelbedeutung zu. Das Übermaß der Spiele scheint, böse beobachtet, vorrangig der Erzeugung von Statistiken zu dienen. Jedenfalls ist es gängig, dass deutsche Fans, die sich den großen Lebenstraum erfüllten und ein NBA-Spiel live vor Ort miterlebten, daheim mit enttäuschten Augen von routiniert huschenden Giganten berichten, die allenfalls im letzten Viertel einen wettkampfnahen Ehrgeiz erkennen ließen. Wie sollte es auch anders sein? Die Anforderung, an hundert Abenden im Jahr sportliche Topleistung zu bringen, ist menschenfremd.

Mit dem Eintritt in die Play-off-Phase allerdings steigert sich die Intensität merklich – und ganz offenbar zu Ungunsten Nowitzkis. Zwar hat unser Held über die Jahre bewiesen, in den quasi-maschinellen Schussroutinen des Ligaalltags die nötigen Zahlenwerte zu erreichen, doch brachen seine Quoten bisher noch jedes Mal ein, sobald er mit seinen Mavericks als Titelaspirant in die eigentliche entscheidende Phase trat.

In der jetzigen Karrierephase geht es für den 26-jährigen Nowitzki (noch) nicht um den Titelgewinn selbst, sondern zunächst um den Nachweis, großen Momenten überhaupt gewachsen zu sein. Dieser Nachweis allerdings steht – auch mit Blick auf Erfahrungen in der Nationalmannschaft – bisher aus. Für einen wie Nowitzki ist auf dem Feld keine andere Rolle denkbar als die des alles entscheidenden Siegertyps. Doch mag diese Rolle zwar perfekt auf seinen Leib, aber eben nicht auf seinen Charakter zugeschnitten sein. Erhärtete sich dieser Verdacht, könnten sich für den Wundermann schon bald dunkle Zukunftsaussichten öffnen. Ihm stünde dann noch mindestens zehn Jahren monotoner Zahlenerzeugung bevor.

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