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Sport: Der Test war positiv - Nandrolon im Urin gefunden. Der ratlose Ausnahmeläufer: "Ich habe nichts genommen"

"Ich tue mich a bissle schwer zum Einstieg." Da saß Dieter Baumann vor den Fernsehkameras und den Journalisten, und er wusste, dass er in dieser von ihm schnell angesetzten Pressekonferenz im schwäbischen Kunstturnzentrum in Stuttgart allein seine Ratlosigkeit mitteilen konnte.

"Ich tue mich a bissle schwer zum Einstieg." Da saß Dieter Baumann vor den Fernsehkameras und den Journalisten, und er wusste, dass er in dieser von ihm schnell angesetzten Pressekonferenz im schwäbischen Kunstturnzentrum in Stuttgart allein seine Ratlosigkeit mitteilen konnte. "Ich habe nichts genommen, aber ich habe eine positive Probe."

Es ist der personifizierte Super-Gau für die deutsche Leichtathletik. Er hat immer offensiv gegen Doping gekämpft, erst am 4. Oktober hatte er die Württembergische Sportpresse zu einem Forum zu sich nach Tübingen eingeladen. Das Thema lautete: "Wie gehen die Medien mit Doping um?" Jetzt hatte sich die Frage plötzlich umgedreht. Wie wird er, als ein Betroffener, wie es in Deutschland von ähnlicher Prominenz noch keinen gab, selber damit fertig, am Pranger zu stehen?

Baumann findet Sympathie, gedämpfte Sätze, bedrückte Stimmung. Seine Zuhörer treffen sich im Gefühl der Fassungslosigkeit. Der 5000-m-Olympiasieger erzählt sehr bedächtig von Anfang an, wie das Schicksal seinen Lauf nahm und er es nicht beeinflussen konnte. Der Anruf aus der Verbandsgeschäftsstelle, am Montag. Er habe den Angestellten Jan Kern sagen hören, es gäbe da einen Fall von Nandrolon-Doping. "Zuerst wusste ich gar nicht, um wen es geht." Entschuldigung, um ihn. "Das konnte nicht sein. Ich habe ja nichts verbrochen."

Er bat um schnellstmögliche Anhörung, "ich muss nicht taktieren." Man traf sich am Mittwoch. Mitten in die Anhörung hinein platzte die Mitteilung von einer zweiten positiven Probe. Nach dem am 19. Oktober genommenen Urin wies auch der vom 12. November verräterische Spuren auf. "Sie können sich vorstellen, dass ich gewankt bin." Baumann lauscht seinen Worten nach, weil er seit fünf Tagen an nichts anderes mehr denken könne, als diese Zeile: "Ich habe nichts genommen."

Zehn Urinproben habe er über anderthalb Jahre bis zum Juli 99 abgegeben, nie habe sich ein Problem aufgetan. Doch am 5. August, während des Höhentrainingslagers, sei "ein Schleier" bei der Probe aufgetaucht. Da war etwas, doch noch zu wenig. "Ich habe das letzte halbe Jahr kein einziges Medikament zu mir genommen. Das kann ich ausschließen."

Der große, unbekannte Dritte, der ihm übel will, hat er schon mal darüber nachgedacht? "Es gibt nicht diese Komplott-Theorie. Was man hier mit mir macht, das ist nicht lustig. Das erfordert eine kriminelle Energie, die traue ich niemandem zu." Diesen Fluchtweg würde er zu billig finden.

Wie wird es weitergehen? "Ich lege meine Daten offen. Ich will gläsern sein." Dann kommt der wichtigste Punkt: Hat die Wissenschaft am Ende mit Nandrolon ein Problem? Es sei wohl nicht so einfach, sagt Baumann, wie man das in Sportkreisen sehe. Die Urine der im August bekannt gewordenen Nandrolon-Fälle der Sprinter Merlene Ottey und Linford Christie, Weltmeister und Olympiasieger, werden zur Zeit einer genauen Prüfung unterzogen. Womöglich wird aus dem Supergau ein Missverständnis? Der Olympiasieger sagt: "Mir geht es um eine grundsätzliche Nandrolon-Doping-Diskussion." Im Radio hat ein Arzt mitgeteilt, das Anabolikum sei in Augentropfen enthalten. Baumann trägt Kontaktlinsen. Im Übrigen heißt es, Nandrolon könne in den USA in Nahrungsergänzungsmitteln im Supermarkt gekauft werden. Er benötige doch auch so was, generell.

Die Nandrolon-Quelle. Wird er sie finden? Er werde in den nächsten drei, vier Wochen genau so normal essen und trinken wie in den vorausgegangenen. "Ich werde kämpfen. Ich möchte lückenlos kontrolliert sein, zwei, drei Mal in der Woche. Das ist für mich der einzige Weg." Die These klingt nicht nur einfach, sie ist es. Wer weiß, irgendetwas nimmt er zu sich, in dem die ihm übel wollende Substanz sich versteckt hält. "Es ist noch ein schwebendes Verfahren", sagt er zwischendurch. Bis jetzt ist er suspendiert, er darf keine Wettkämpfe bestreiten. Baumann nahm sich den Heidelberger Michael Lehner zu seinem Rechtsbeistand, den Rechtsanwalt der prominenten Dopinggegner Brigitte Berendonk und Werner Franke. Baumann stößt wegen seiner Vergangenheit auf viel Wohlwollen.

Überhaupt, wieso sollte er Nandrolon nehmen, das leicht nachzuweisen ist. "Die intelligentere Lösung wäre, mit Epo zu dopen." Dieses Blutdoping ist nicht nachweisbar, und tatsächlich bringt es viel mehr Profit als ein Muskeldoping. "Es ist nicht die Frage, ob Nandrolon etwas bringt, sondern es steht auf der Liste." Für dieses Doping-Kontrollsystem habe er gearbeitet, es mitinitiiert. Sein Leben hat sich dramatisch geändert. Er sei mitten in einer "neuen Einordnung meiner selbst".

Baumann sieht sich in seinem Kampf um Entlastung dem DLV und dessen Präsidenten Helmut Digel gegenüber. Beide gehen freundschaftlich miteinander um und schätzen sich. "Eine gewisse Tragik," sagt Baumann, als der Name Digel aufkommt. Schließlich aber ergänzt er: "Das muss mein Ziel sein, dass man Athleten nicht zu Unrecht verurteilt."

Robert Hartmann

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