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Sport: Der unheimliche Punch Boxen aus dem Bauch heraus

Der Türke Sinan Samil Sam verhaut den Engländer Danny Williams und verteidigt seinen EM-Titel im Schwergewicht

Berlin. Es dampft in der roten Ringecke. Zu sehen ist nicht viel. Drei Betreuer umringen den Schemel, von dem der Dampf aufsteigt. Darauf sitzt Sinan Samil Sam, genannt der Bulle vom Bosporus. In ihm brodelt es. Könnte sein Körper jetzt Töne erzeugen – es müsste ein leises, unaufhaltsames Nageln sein. Wie das eines intakten Diesels. Dann verlassen die Betreuer den Ring, der Bulle steht auf, der Ringrichter gibt den Kampf zur sechsten Runde frei. Beendet wird sie nicht mehr. Sinan Samil Sam deckt sein Gegenüber Danny Williams so lange mit Schlägen ein, bis der Ringrichter dazwischenhechtet. Aus der blauen, der englischen Ecke, fliegt das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe. Und während Danny Williams das Geviert kreisrund vorgekommen sein muss, hüpft der 110 Kilogramm schwere Bulle vom Bosporus wie ein Springinsfeld durch den Ring.

Sinan Samil Sam, ein in Deutschland gebürtiger Türke, verteidigte am Samstag den EM-Titel im Schwergewicht.

Es sprach für Danny Williams, dass er ohne fremde Hilfe den Weg zur nachmitternächtlichen Pressekonferenz gefunden hatte. Mit rotunterlaufenden Augen starrte der 120 Kilo-Kasten vor sich hin und schüttelte immer wieder seinen Kopf. „Ich habe Sinan oft gesehen, aber ich habe nicht erwartet, dass er einen solch harten Punch hat“, sagte Williams. Für den 29-Jährigen, der die europäische Rangliste anführte, der 22 seiner 27 Gegner durch K. o. bezwungen hatte, war es die zweite Niederlage. Noch tiefer saß der Schreck Adrian Ogun in den Knochen. Der schwarze Zweimetermann managt nicht nur Williams, sondern auch Schwergewichtsweltmeister Lennox Lewis. „Wir haben den Türken nicht unterschätzt, aber schon geglaubt, dass wir den Titel mit nach England nehmen. Jetzt fahren wir mit leeren Händen fort und schweren Köpfen.“

Es war längst die Zeit der Analysen angebrochen im Berliner Estrel Convention Center, wo zuvor rund 3000 Besucher den Champion feierten. Dass sie den Bullen vom Bosporus nicht auf Händen hinausgetragen haben, mag am mächtigen Gewicht gelegen haben oder daran, dass er vorher weitgehend unbekannt war. Für Sinan Samil Sam war es die erste Titelverteidigung, nachdem er bisher im Rahmenprogramm boxte. Dessen Manager Klaus-Peter Kohl, Chef der Universum Box-Promotion, erzählte also eine lange Geschichte. Die Kurzform: Kohl hatte seinen Boxer eindringlich von einem Kampf gegen Williams abgeraten. Der sei schließlich der stärkste der möglichen Gegner in diesem Limit. Für Sinan mit seiner geringen Erfahrung noch viel zu früh. Vielmehr wollte Kohl den Engländer als Gegner für Wladimir Klitschko verpflichten, den Weltmeister nach Version der WBO. „Aber dann sagte Sinan zu mir: Manager, ich bin mir ganz sicher, dass ich den Kampf gegen Williams gewinne“, erzählte Kohl. Und: „Ich habe mich ganz selten geirrt in den vergangenen zehn Jahren, heute war es mal wieder so weit.“

Im Ring sah das so aus. Sinan Samil Sam bestimmte vom ersten Gong an das Geschehen. Wie eine Lokomotive rangierte er seinen Herausforderer durch den Ring. Obwohl er einige schwere linke Hände von Williams einstecken musste, wich der Bulle vom Bosporus nicht einen Zentimeter zurück. Er bestimmte die Richtung im Ring, er schob ihn quasi vor sich her. „Als ich davon hörte, dass Sinan gegen diesen Williams boxen will, zuckte ich zusammen“, erzählte sein Trainer Michael Timm. Zwölf Wochen hatte er den 28-Jährigen vorbereitet, zusammen hatten sie sich eine Marschroute erarbeitet. „Er hat sie eins zu eins umgesetzt“, sagte Timm später. „Das war eine Meisterleistung.“

In der vierten Runde sollte die Vorentscheidung fallen. Williams brachte weiterhin seinen gefährlichen linken Jab. Nur ließ er seine linke Führhand beim Zurückziehen immer wieder fallen. So konnte Sinan Samil Sam mit seiner rechten drüberschlagen, wahlweise als Haken oder Gerade. In der vierten Runde ging Williams zweimal zu Boden und musste angezählt werden, in der fünften Runde noch einmal. Die sechste Runde schließlich brachte das Ende. Adrian Ogun, der Manager von Williams, applaudierte und sagte: „Diesen Mister Sam kann man vorzeigen.“

Nur wann und wo? Denn wie es weitergeht mit Sinan Samil Sam, war nach seinem famosen Auftritt unklar. Welchen Boxer in Europa soll er fürchten? Ist Europa zu klein für den Bullen? „Die Luft wird dünner“, sagte Klaus-Peter Kohl, der sich früher als gedacht um die Karriereplanung dieses Schwergewichtlers kümmern muss. „Wir werden mit ihm denselben Weg gehen wie mit den beiden Klitschkos“, sagte Kohl. „Seine Chance wird kommen, aber er wird sich etwas gedulden müssen.“

Der Türke Sinan Samil Sam wird demnächst in den Ranglisten aller vier großen Weltverbände auftauchen. „Den EM-Titel nimmt mir so schnell keiner ab“, sagte Sinan, „lasst mich das erst einmal genießen. Ich habe Zeit.“ Zeit auch für sein Hobby. Denn wenn der Bulle mal nicht boxt, züchtet er Brieftauben. „Das ist sehr beruhigend.“

Irgendwie sieht er drollig aus, der Box-Europameister im Schwergewicht. An ihm ist alles groß und weich. Seine Augen, seine Hände, sein Bauch. Sinan Samil Sam wiegt schlappe 110 Kilogramm. Recht viel für einen 1 Meter 90 großen Athleten. Ginge es nach optischen Aspekten im Boxen, hätte der Sieger der Samstagnacht Danny Williams heißen müssen. Der ist auch groß und schwer, aber bei ihm versammelt sich die Masse in der Schulter- und Brustpartie. Williams hat einen definierten Körper und muskelbepackte Arme. Sinan Samil Sam dagegen sieht untrainiert aus und wirkt wie ein Buddha. Der neutrale Beobachter wird sich gefragt haben, woher nimmt dieser mollige Kerl seine Beweglichkeit und seinen Punch in den Fäusten?

Erstens: Masse hat nichts mit Reflexen zu tun. Gezieltes Kraft-Schnelligkeitstraining verstärken diese. Sinan Samil Sam hat ein gutes Auge. Er kann sowohl gut zielen als auch eine Kampfsituation schnell erfassen. Auf Grund seiner boxerischen Qualitäten findet er mehrere Antworten. Ausgebildet wurde er bei den Amateuren. Wurde dort Weltmeister.

Zweitens: Obwohl er wegen Einlagen, die er in den Schuhen tragen muss, nicht die üblichen Laufumfänge absolvieren kann, hat sich sein Trainer ein spezielles Konditionstraining mit Medizinbällen einfallen lassen.

Drittens: Es gibt prominente Beispiele. David Tua aus Samoa wiegt 135 Kilo, verteilt auf 1,78 m. Dazu trägt der Weltranglistenboxer noch Röckchen im Ring. Miro

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