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Sport: Der Unwahrscheinliche

Von Stefan Hermanns Miyazaki. Das kleine Phrasen-Handbuch für Fußballprofis bietet verschiedene Antwortmöglichkeiten auf die Frage nach der Aufstellung.

Von Stefan Hermanns

Miyazaki. Das kleine Phrasen-Handbuch für Fußballprofis bietet verschiedene Antwortmöglichkeiten auf die Frage nach der Aufstellung. Sehr beliebt ist Variante A: „Ich weiß auch nicht mehr als Sie.“ Oder Variante B: „Da müssen Sie den Trainer fragen.“ Als aber Carsten Jancker um seine Einschätzung gebeten wird, ob er am Samstag gegen Saudi-Arabien spielen werde, wählt er eine Variante, die für den unmündigen Fußballprofi am Anfang des dritten Jahrtausends eigentlich gar nicht vorgesehen ist: „Ich denke, es sieht so aus, dass ich am Samstag spiele, ja.“ Na, wenigstens noch ein „Ich denke".

So viel Naivität hätte man Carsten Jancker gar nicht zugetraut. Andererseits muss man ihn natürlich auch ein bisschen verstehen. Die unerwartete Freude über sein erstes Spiel bei einer Fußball-Weltmeisterschaft hat ihm vermutlich die Zunge gelöst. Sein Einsatz in Asien galt bisher eigentlich als GAU, als die „Größte anzunehmende Unwahrscheinlichkeit". Jetzt tritt sie ein.

Die letzte Saison ist für Carsten Jancker nicht allzu gut gelaufen. In der Torschützenliste hat er selbst bisher unbekannte Goalgetter wie Steffen Handschuh, Tim Borowski sowie die beiden Torhüter Oliver Reck und Frank Rost an sich vorbeiziehen lassen müssen, die alle wenigstens einmal getroffen haben. Jancker ist das in 18 Bundesliga-Einsätzen für Bayern München leider nicht gelungen. „Null-Tore-Stürmer“ heißt er jetzt. Aber immerhin ist er der einzige Null-Tore-Stürmer, der mit zur WM fahren darf.

Schon das hat viele überrascht. In derselben Stadt wie Jancker spielt ein Angreifer, der gemeinsam mit dem Dortmunder Amoroso der erfolgreichste der Bundesliga war. Martin Max hat für 1860 München 18 Tore geschossen. Mit zur WM durfte er trotzdem nicht. Dafür gehört Oliver Bierhoff zum Kader, der frühere Kapitän, der zuletzt beim AS Monaco unter Vertrag stand. Und Oliver Neuville, der mit Bayer Leverkusen das Endspiel der Champions League erreicht und 13 Bundesligatore erzielt hat. Beide haben sich berechtigte Hoffnungen gemacht, Jancker vorgezogen zu werden. „Im Prinzip könnte man alle aufstellen“, sagt Rudi Völler. Doch offensichtlich hat der Teamchef sich wieder einmal dafür entschieden, die öffentliche Meinung zu ignorieren und auf seine Richtlinienkompetenz zu pochen.

Das ist typisch für ihn. Völler interessiert es nicht im geringsten, was andere Leute von ihm erwarten. Deswegen sitzt Martin Max jetzt zu Hause in Vaterstetten, während Carsten Jancker morgen an der Seite von Miroslav Klose in Sapporo gegen Saudi-Arabien stürmen wird. Diese Variante hatte sich im Laufe der Woche schon angedeutet. Im Testspiel gegen eine japanische Schülerauswahl standen Jancker und Klose in der ersten Mannschaft. Überzeugt hat der Münchner dabei nicht. „Carsten Jancker wird immer kritisch beäugt, weil er nicht der klassische Stürmer ist“, sagt Rudi Völler. Wenn er mit klassischem Stürmer jemanden meint, der auch Tore schießt, hat Völler natürlich Recht.

Die Nation jedenfalls sorgt sich ein wenig, ob der Münchner den Anforderungen genügen kann. „Carsten Jancker befindet sich in einer guten Verfassung“, sagt Bundestrainer Michael Skibbe. „Vor allem körperlich ist er topfit.“ Das mag sein, aber wie sieht es mit der geistigen Frische aus? Gerade Stürmer sind sensible Gemüter, die alles haben dürfen, nur keine Selbstzweifel. „Ich fühle mich eigentlich sehr gut“, sagt Jancker, seine Situation sei auch nichts Ungewöhnliches: „Das hat man mal als Stürmer, dass man einfach nicht das Richtige macht." Völler glaubt, dass das Einfache zurzeit das Richtige für ihn wäre. Doch das ist nicht Janckers Stil. „Er will immer glänzen“, hat der Teamchef festgestellt. Aber die komplizierten Dinge funktionieren jetzt erst recht nicht. Hinzu kommt der Unmut des Publikums, zumindest in Deutschland. In Freiburg, beim Testspiel gegen Kuwait, wurde Jancker ausgepfiffen. Er habe das verarbeitet, sagt er, „aber ich habe schon ein paar Tage gebraucht". In Japan immerhin hat Carsten Jancker in dieser Hinsicht nichts zu befürchten. Die Zuschauer beim Fußball pfeifen generell nicht.

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