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Im Sprint zur EM? Julian Draxler hat die erste Hürde zur Europameisterschaft genommen. Der Schalker steht im vorläufigen Kader.

© firo Sportphoto

Der vorläufige EM-Kader: Ein typischer Löw

Trotz der Nominierung von Draxler und ter Stegen birgt der Kader für die EM wenig Überraschendes. Am interessantesten ist noch, wer es nicht in die Auswahl geschafft hat und warum.

Nachdem er eine knappe Dreiviertelstunde gesprochen hatte, verspürte Joachim Löw offensichtlich das Bedürfnis, alles Gesagte noch einmal kurz und knapp abzubinden. „Es ist ein sehr ausgewogener Kader“, verkündete der Bundestrainer. „Die Altersstruktur ist sehr gut.“ Als Breaking News taugte diese Aussage nicht. Aber das galt im Grunde für die gesamte Veranstaltung, zu der der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ins bundestrainerwohnortnahe Raststatt geladen hatte. Mit dem Kader, den der Bundestrainer für die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine berufen hat, ist ihm ein typischer Löw gelungen.

Seit acht Jahren ist Joachim Löw beim DFB angestellt, die anstehende Europameisterschaft ist für ihn das vierte große Turnier in verantwortlicher oder hauptverantwortlicher Position. Inzwischen sind der Bundestrainer und seine Vorlieben so weit entschlüsselt, dass er die Öffentlichkeit mit der Berufung eines Turnierkaders nur noch eingeschränkt verblüffen kann. Auch die Überraschung, das Prinzip Odonkor sozusagen, ist längst fester Bestandteil seines Portfolios. In diesem Jahr hat Löw dazu den 18 Jahre alten Schalker Julian Draxler ausgewählt, der an diesem Freitag mit einer Rumpftruppe ins Regenerationstrainingslager nach Sardinien fliegen wird.

„Julian ist ein Spieler mit enorm viel Potenzial“, sagte der Bundestrainer. „Er hat Stärken im Eins-gegen-Eins, eine sehr gute Spielintelligenz, und er wird durch die Nominierung einen weiteren Schub bekommen.“ Vermutlich wird dieser Schub trotzdem nicht reichen, um Draxler ins endgültige EM-Aufgebot zu tragen. Weil Löw erst am 25. Mai alle Spieler zur Verfügung haben wird, hat er gestern insgesamt 27 Kandidaten nominiert, vier fürs Tor und 23 fürs Feld. Miroslav Klose wird am Montag nach Sardinien einfliegen und zur Nationalmannschaft stoßen, die Dortmunder kommen nach dem DFB-Pokalfinale am 15. Mai, Mesut Özil und Sami Khedira von Real Madrid einen Tag später, und die achtköpfige Bayern-Fraktion wird sogar erst am 25. Mai im zweiten Trainingslager in Südfrankreich erwartet.

Sehen Sie hier den vorläufigen EM-Kader Deutschlands zum Durchklicken:

Neben Draxler ist auch Torhüter Marc-André ter Stegen von Borussia Mönchengladbach noch ohne Länderspieleinsatz. „Wir haben dem Rechnung getragen, dass Manuel Neuer erst einmal nicht dabei sein wird“, sagte Löw über die Nominierung des 20 Jahre alten Gladbachers. Weil der Bundestrainer sich in der Vergangenheit immer auffallend positiv über den jungen Torhüters geäußert hat, ist es keineswegs sicher, dass ter Stegen der Kaderreduzierung am 29. Mai zwangsläufig zum Opfer fallen wird. „Im Moment haben wir keine Veranlassung, eine endgültige Entscheidung zu treffen“, sagte der Bundestrainer. Die Aussage lässt auf einen ergebnisoffenen Dreikampf zwischen dem Bremer Tim Wiese, Ron-Robert Zieler von Hannover 96 und eben ter Stegen um die beiden Plätze hinter Stammtorhüter Neuer schließen.

Für Spieler wie Helmes ist die deutsche Mannschaft inzwischen zu gut.

Manchmal sind die Namen, die sich nicht im Aufgebot finden, spannender als die, die es letztlich in den Kader geschafft haben. Vor der WM 2006 erwischte es Kevin Kuranyi, vor vier Jahren bei der EM Torhüter Timo Hildebrand. Auch in dieser Hinsicht ist die Brisanz diesmal überschaubar. Dass Löw auf Christian Träsch, Simon Rolfes und Dennis Aogo verzichtet hat, ist nach deren Leistungen in der gerade zu Ende gegangenen Bundesligasaison mehr als verständlich. Etwas anders stellt sich die Situation bei den Stürmern Stefan Kießling und Patrick Helmes dar, die zuletzt wieder als Kandidaten gehandelt wurden, obwohl sie schon mehrere Jahren nicht mehr zum Kader der Nationalmannschaft gehörten.

Löw lässt sich bei seinen Personalentscheidungen weniger vom Moment leiten als von grundsätzlichen Erwägungen. Seine Anhänglichkeit gilt im Positiven wie im Negativen. Vom Leverkusener Kießling zum Beispiel war der Bundestrainer nie restlos überzeugt, insofern war nicht davon auszugehen, dass er sich von dessen überzeugender Rückrunde mit insgesamt 13 Toren noch einmal betören lassen würde.

Bei Patrick Helmes ist das anders. Den schätzt Löw durchaus, und seinen Aufschwung mit zehn Toren aus den letzten zehn Spielen hat der Bundestrainer sehr wohl registriert. Im Vergleich dazu nehmen sich die acht Treffer, die Cacau in der kompletten Saison erzielt hat, recht dürftig aus. Trotzdem ist es schlüssig, dass der Bundestrainer sich für den Stuttgarter und gegen Helmes als dritten Stürmer entschieden hat. Cacau ist unter den Angreifern als Spezialist für besondere Aufgaben eingeplant: Er wird ausschließlich als Joker benötigt, „wenn der Raum eng ist und der Gegner tief steht“. Für einen Konterstürmer wie Helmes sieht der Bundestrainer hingegen keinen Bedarf. Dafür ist die deutsche Mannschaft inzwischen einfach zu gut.

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