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Sport: Der Vorteil der Benachteiligung

Große Mannschaften schöpfen Kraft aus umstrittenen Niederlagen – so könnte es Hertha mit dem 0:1 bei 1860 München halten

Von Sven Goldmann

Berlin. „Endlich haben wir mal gegen eine große Mannschaft gewonnen.“ Das hat Peter Pacult, der Trainer des TSV München 1860, nach dem 1:0-Sieg über Hertha BSC gesagt. Es war, aus Berliner Sicht, der schönste Satz am Samstagnachmittag. Gehört hat ihn kaum jemand, weil sie bei Hertha BSC mit anderen Sachen beschäftigt waren: mit einem nicht gegebenen Elfmeter, einem aberkannten Tor und einem höchst umstrittenen, weil mit der Hand erzielten Gegentor. Berliner Proteste wies der Linienrichter laut Herthas Abwehrchef Dick van Burik mit einer wenig charmanten Bemerkung zurück: „Verpiss dich, hat er gesagt“, nicht ein Mal, sondern drei Mal.

Darüber erregten sich die Berliner noch Stunden nach dem Spiel, auf dem Heimflug nach Tegel und am Sonntag beim Auslaufen auf dem Schenkendorffplatz. Und wie sie so schimpften und lamentierten und Schuld bei Schiedsrichtern und Handball und Foul spielenden Gegnern suchten, da wirkten sie sehr viel kleiner als in Peter Pacults schönem Satz. Hertha BSC wird in der Bundesligatabelle an zehnter Stelle notiert. Das ist kein guter Platz für eine große Mannschaft.

Nun sind gerade sieben Spieltage absolviert, und Herthas Manager Dieter Hoeneß weist zu Recht darauf hin, dass zur sportlichen Einordnung seiner Mannschaft doch ein wenig mehr Zeit ins Land gehen müsse. Und hätte Hertha in München gewonnen, dann stünde die Mannschaft weit oben, nur einen Punkt hinter Meister Dortmund. Wer unbedingt will, kann also die falschen und die unterbliebenen Pfiffe des Bremer Schiedsrichters Peter Gagelmann für die unzufriedenstellende Momentaufnahme des Tabellenbildes verantwortlich machen. Er sollte dann aber auch zwei Wochen zurückblicken. Damals, beim Berliner 1:0-Sieg in Bielefeld, hatte der Schiedsrichter zwei ziemlich deutliche Elfmeter gegen Hertha BSC übersehen. Eine irgendwo zwischen Bauernweisheit und Metaphysik angesiedelte Regel besagt, dass sich Fehlentscheidungen im Laufe einer Saison ausgleichen.

Umso wichtiger ist es, den Unwägbarkeiten des Alltags mit einer Philosophie der Stärke zu begegnen. Große Mannschaften wie früher der FC Bayern München haben aus Fehlentscheidungen und vermeintlichen Fehlentscheidungen immer das Potenzial an Aggressivität gezogen, das am Ende den Unterschied zur Konkurrenz ausmachte (und den Unterschied zu den weinerlichen Bayern von heute). Wer Erfolg hat, wird nicht von allen geliebt.

Es ist diese Begleiterscheinung von wahrer Größe, mit der sich Hertha BSC so schwer tut. Immer noch monieren Kritiker am Berliner Team vor allem das Fehlen von Persönlichkeiten, die ein Spiel nicht nur mit ihren sportlichen Fähigkeiten dominieren. Der Brasilianer Marcelinho kommt dafür wegen seiner sprachlichen Probleme nicht infrage, Stefan Beinlich ist zu häufig verletzt, Michael Preetz absolviert die letzte Saison seiner Profikarriere. Am ehesten hat wohl Dick van Burik das Zeug zum Führungsspieler. Der Holländer räumte nach der Niederlage von München immerhin ein, „dass es eigentlich unmöglich ist, ein Spiel wegen eines Schiedsrichters zu verlieren“. Es folgte der unvermeidliche Zusatz: „Aber wir waren am Samstag sehr nahe dran.“

Allein für den kurzfristigen Erfolg mag das Nörgeln über all die Benachteiligungen von München positive Seiten haben. Die Spannung muss aufrechterhalten werden vor dem wichtigen Uefa-Cup-Spiel am Dienstag gegen den FC Aberdeen. Denn wer sich über ein verpfiffenes Spiel in München ärgert, der muss nicht nervös einem möglichen Ausscheiden gegen die drittklassigen Schotten entgegenblicken.

Ein Scheitern auf europäischer Ebene wäre für Hertha BSC zwar keine Katastrophe, aber doch ein Signal, das eine missgünstige Konkurrenz nur zu begierig aufnehmen würde. Denn in der Bundesliga werden die Berliner weitaus ernster genommen, als es das eigene, traditionell überkritische Publikum wahrhaben will. Das zeigt schon die Häme, die Hertha bei jeder Niederlage bundesligaweit entgegenschlägt. Und das Zitat vom erwachenden Riesen an der Spree, es stammt nicht von Dieter Hoeneß, sondern von Bayern Münchens Präsident Franz Beckenbauer.

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