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Sport: Der wahre Fußballkanzler

Wie Gerhard Schröder zieht Bundestrainer Jürgen Klinsmann im Flugzeug eine erste Bilanz

Es war nachts, kurz nach zwei Uhr an Bord einer Chartermaschine der Korean Airlines. Das Radarbild offenbarte, dass der größte Teil der Flugstrecke zwischen Tokio und Busan in Südkorea schon bewältigt war. Time to destination: 52 minutes. Jürgen Klinsmann suchte eigentlich nur Harald Stenger, den Pressesprecher des Deutschen Fußball-Bundes und verirrte sich dabei aus der Ersten Klasse in die hinteren Reihen. Dort berieten die Medienvertreter bei Budweiser gerade die Lage nach dem 3:0 der deutschen Nationalmannschaft im Testspiel vor wenigen Stunden in Yokohama.

Plötzlich war der Bundestrainer umringt von Menschen, die Fragen stellten. Ansonsten hat sich Klinsmann, jedenfalls was unvorbereitete Statements betrifft, rar gemacht auf der Asienreise. Diesmal jedoch schien ihm die insistierende Gesellschaft offenbar nicht als Bedrängnis. Der Sieg gegen die Japaner schien eine gute Gelegenheit, eigentlich weit vor der Zeit eine erste Bilanz seines bisherigen Schaffens zu ziehen. Das erinnerte an die Pressegespräche, die der Bundeskanzler während seiner Auslandsreisen im Flugzeug führt. Und wie Gerhard Schröder gab Klinsmann eine Grundsatzerklärung ab: Vor dem Spiel am Abend im International Stadium in Yokohama habe er den Spielern in der Kabine ins Bewusstsein gerufen, „wo wir standen, vor gut fünf Monaten, und wo wir jetzt stehen“. Das sei seine Art, die Mannschaft zu motivieren. So wie Jürgen Klinsmann dabei dreinblickte, mit etwas schweren Augen, aber mit klarem, wie stets zuversichtlichem Blick, mochte man glauben, dass auch er selbst aus diesem Zeitabschnitt eine große Befriedigung zieht.

Denn Klinsmann weiß und es ist auf dieser Reise spürbar: diese fünf Monate gehen auf sein Konto, auf das des Modernisierers und kompromisslosen Jugendförderers. Aber eben auch des Trainerneulings und Kahn-Demonteurs. Diesem Bewertungsspektrum verweigert sich Klinsmann nicht angesichts des Erfolges. Er weiß, dass die vier Siege und ein Unentschieden gegen – von Brasilien einmal abgesehen – mittelmäßige Gegner erzielt wurden. Auch Japan passte in diese Kategorie. Außerdem befindet sich sein Team in einer Phase, in der es um nichts geht. Als Gastgeber ist es bereits für die WM 2006 in Deutschland qualifiziert.

Und so konnte Klinsmann im Anflug auf Südkorea die Schwachpunkte selbst ansprechen. Keine Trainererfahrung? „In unserem Trainergespann gilt das Prinzip: Jeder lernt von jedem.“ Was er dabei lernt: „Die Tatsache, dass Assistenztrainer Joachim Löw über eine große Erfahrung in seinem Metier verfügt, gibt mir ungeheure Sicherheit.“ Das ständige Pendeln zwischen Kalifornien und Deutschland? „Ich komme mit dem Jet-Lag jedenfalls besser zurecht als die Spieler.“ Im Übrigen sei der Job auch in der Ferne eine 24-Stunden-Angelegenheit. Dies merke er schon daran, dass seine Frau ihn bisweilen energisch auffordern müsse, „mal abzuschalten“. Leichte Gegner? „Je länger wir erfolgreich sind, desto selbstsicherer wird die Mannschaft, was gerade für die jungen Spieler wichtig ist.“ Nein, natürlich wolle er auch die beiden verbleibenden Spiele in Südkorea und Thailand gewinnen, aber: „Eine Niederlage wird uns nicht umhauen, wir nehmen es, wie es kommt.“

Klinsmann war in Geberlaune. Nur einmal wurde deutlich, wie sehr der fröhliche Siegertyp auch bluffen kann. Oliver Kahn? „Ich habe vor der Mannschaft gesagt: Nehmt euch ein Beispiel an Oliver. Was auf den einstürzt in den letzten Jahren und wie er damit umgeht, da kann man viel draus lernen.“ Kahn, ein Vorbild für junge Spieler? Hier in Busan scheint es so. Hier wehen von einem Sponsor aufgehängte Fahnen mit seinem Konterfei, die Hotelaufzugtür ziert ein überdimensionales Poster des Nationaltorwarts.

Hier wird man Klinsmann bald fragen müssen, inwiefern in letzter Zeit auch er seinen Anteil daran hat, dass das Denkmal Oliver Kahn bedenklich wackelt. Und wie es wirklich war, zwischen dem Bundestrainer und dem ehemaligen Kapitän, als die beiden sich über das unangekündigte Aufkreuzen von Kahns Freundin Verena Kerth in Yokohama ausgetauscht haben. Anfangs war, hoch inoffiziell, von einer strengen Zurechtweisung die Rede, später hieß es, halb offiziell, es gäbe Unruhe im Team darüber, übrig blieb, ganz offiziell, dass ein Gespräch diesbezüglich zwischen beiden gar nicht stattgefunden habe. Warum kurz vor dem Aufleuchten der Fasten-Seatbelt-Zeichen kein Reporter Klinsmann danach fragte? Es war, das spürten alle, nicht der Moment für Nörgeleien.

Moritz Müller-Wirth[Busan]

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