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Sport: Der wankende Nationalheld

Luis Figo wird im Halbfinale wieder für Portugal spielen, doch das Volk versteht ihn immer weniger

Es sind dramatische Tage in Portugal. Ministerpräsident José Manuel Durao Barroso soll von seinem Amt zurücktreten und neuer Kommissionspräsident der Europäischen Union werden. In seiner Regierungskoalition liefern sich Konservative und Sozialdemokraten heftige Kämpfe um die Nachfolge, die oppositionellen Sozialisten fordern Neuwahlen. Für die großen europäischen Nationen ist Barroso eine Kompromisslösung, für die Amerikaner ein Wunschkandidat, weil er ihre Position im Golfkrieg unterstützt hat. Den Portugiesen ist das alles ziemlich egal.

Politik ist derzeit ein Randthema, geeignet für die Schlussminuten der Fernsehnachrichten, gleich nach dem Streik der Lissaboner U-Bahnfahrer. Die Nation interessiert sich nicht für José Manuel Durao Barroso, sondern für Luis Filipe Madeira Caeiro, genannt Figo. Tagelang haben die Portugiesen gerätselt: Spiel Luis Figo heute Abend im Halbfinale der Fußball-EM gegen die Niederlande? Und wenn ja: wie lange?

Seit gestern steht fest: Er wird spielen, der Streit mit Trainer Luiz Felipe Scolari ist offiziell ausgeräumt. Seit dem Sieg im Viertelfinale über England hatten Journalisten das Quartier der portugiesischen Nationalmannschaft in der Academia Sporting im Norden Lissabons belagert. Figo schwieg und trainierte, erst am Tag vor dem Halbfinale meldete er sich wieder zu Wort: „Wir müssen diese Europameisterschaft einfach gewinnen“, rief Figo in die Mikrofone. „Es ist das Größte, was wir Portugal schenken können.“

Solche Auftritte mit nationalem Pathos sind selten geworden. Luis Figo galt lange Zeit als Volksheld, doch in letzter Zeit spüren die Portugiesen eine gewisse Distanz. Sie verstehen nicht, warum er sich seit Jahren nicht mehr blicken lässt im Lissaboner Arbeiterviertel Almada, wo er aufgewachsen ist. Sie wundern sich über Interviews, in denen er andeutet, er wolle sich in einer schlechten Nationalmannschaft nicht seinen Ruf beschädigen lassen. Und sie ärgern sich über seine Posen auf dem Fußballplatz, denn es kommt ihnen so vor, als stelle dieser Luis Figo sich über die Mannschaft.

So wie im Viertelfinale gegen die Engländer, als er ein gutes Spiel gemacht hatte und dann doch eine Viertelstunde vor Schluss ausgewechselt wurde, weil er mit seinen Kräften am Ende war. Portugal brauchte frische Spieler, um den 0:1-Rückstand aufzuholen, doch Figo mochte das nicht akzeptieren. Er stand auf dem Platz und schaute ungläubig hinüber zur Trainerbank. Endlose Sekunden vergingen, bis er dann die Kapitänsbinde weitergab an Nuno Gomes und vom Platz ging, provozierend langsam, obwohl doch jede Sekunde wichtig war für Portugal, sein Portugal. Figo ging in die Kabine und ward an diesem Abend nicht mehr gesehen. Die Party nach dem dramatischen Sieg im Elfmeterschießen fand ohne ihn statt. „Das hat diese Mannschaft nicht verdient“, schrieb der Kommentator des Figo sonst ergebenen Blattes „O Jogo“ am Tag danach.

Luis Figo fällt es nicht leicht, das Misstrauen seiner Landsleute zu mildern. Mal ließ er ausrichten, er habe das Elfmeterschießen in der Kabine betend verfolgt, ein Abbild der Mutter Gottes in den Händen. So etwas kommt gut an im katholischen Portugal. Eine andere Version besagt, dass er nackt im Entmüdungsbecken lag und deswegen nicht zurück aufs Spielfeld eilen konnte. „Er ist einfach nicht der Typ, der aus sich herausgeht“, sagt Trainer Scolari. „Luis will seine Gefühle lieber für sich behalten.“ Scolari hat sich oft wehren müssen gegen den Vorwurf, er wolle sich auf Figos Kosten profilieren. Er weiß aber auch, dass mit einem motivierten Figo Portugals Chance auf den Einzug ins Finale sehr viel größer ist. „Natürlich wird er spielen. Luis ist ein Idol, ein Nationalheld. Wenn wir über Figo reden, dann über jemanden, der sein Land verteidigt und alles dafür tut, was im Interesse seines Landes ist“, hat Scolari am Tag vor dem Halbfinale gesagt. Zuvor hatte er die portugiesischen Journalisten angefleht: „Hängen Sie diese Sache vom Spiel gegen England bitte nicht zu hoch. Wir müssen alle zusammenhalten für ein Ziel, den Sieg gegen Holland!“

Der wankende Nationalheld Luis Figo hat gegen die Holländer noch etwas gutzumachen. Am 16. Oktober 1991 verlor er mit der Nationalmannschaft in Eindhoven 0:1 und verpasste damit die Qualifikation für die Europameisterschaft in Schweden. Es war das erste Länderspiel des damals 18-jährigen Luis Figo.

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