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Sport: Detroit macht auf XL

Nach Jahrzehnten des Verfalls hat sich die Autostadt herausgeputzt – für den Super Bowl im Football, den Seattle und Pittsburgh heute ausspielen

Das Symbol prangt überall und übergroß in Detroit: XL. Die römische Ziffer 40 soll sagen: Schaut her, wir sind wieder wer. Dabei steht XL doch eigentlich nur für den 40. Super Bowl, das Finale der US-Footballliga NFL heute (24 Uhr MEZ/ARD live) zwischen den Pittsburgh Steelers und den Seattle Seahawks – das wichtigste Sportereignis der USA und die größte Eintagesveranstaltung der Welt.

Doch Detroit muss sich Mut machen. Die einst blühende Industriestadt, die von ihren Autowerken gelebt hat, leidet seit den Fünfzigerjahren unter dem Verfall. Längst raten Reiseexperten von einem Trip in die Stadt an den Großen Seen ab. Zu verfallen, zu gefährlich, zu langweilig ist die Motown, deren einzige Sehenswürdigkeit, das Automuseum, nicht einmal in der Stadt selbst liegt. Doch seit einigen Tagen schauen Millionen US-Amerikaner wieder gebannt auf die Stadt, denn heute treffen dort die Pittsburgh Steelers auf die Seattle Seahawks und machen unter sich den Meister aus. Und dafür hat sich Detroit in den vergangenen vier Jahren seit Vergabe des Super Bowl rausgeputzt. Die Nominierung sei „ein Katalysator gewesen für die Revitalisierung der Innenstadt“, sagen die Verantwortlichen. Das wollen sie nun ganz Amerika beweisen. Die rund eine Million Bewohner geben sich alle Mühe, ihren Kritikern eine lebendige Stadt zu präsentieren.

An keinem anderen Finalort der vergangenen zehn Jahre – durchweg Städte im Süden der USA – waren die Menschen so hilfsbereit, freundlich und begeisterungsfähig wie hier am Eriesee. Und das trotz eisiger Kälte. Immerhin: Vom ganz großen Frost mit zweistelligen Minusgraden, wie sonst zu dieser Jahreszeit üblich, wurde Detroit verschont. Dass bei leichtem Nieselregen der groß angekündigte „Winter Blast“ mit Eisbahnen, Schlittenhunderennen und ähnlichen Attraktionen in der Innenstadt in weiten Teilen ins Wasser fällt, tut der Stimmung in Detroit keinen Abbruch.

Die knapp 100 000 Zuschauer – davon allein 3500 Journalisten aus aller Welt – freuen sich auf das ungewöhnlichste Finale der letzten Jahre. Und sie zahlen dafür Eintrittspreise von 120 bis zu 700 Dollar auf dem regulären Markt. Da diese Karten aber ohnehin nur ein Bruchteil der ewig auf einen Platz hoffenden Amerikaner bekommt, zahlen die Fans auf dem Schwarzmarkt bis zu 4000 Dollar.

Vor allem die erfolgshungrigen Fans der Pittsburgh Steelers, die in den Siebzigerjahren das überragende Team waren, doch seit fast 30 Jahren auf ihren fünften Titel warten, sind zu Zehntausenden eingefallen, verwandeln Detroits Straßen in ein Meer aus Gelb und Schwarz. Die Anhänger des erstmaligen Finalteilnehmers Seattle gehen da im Stadtbild fast unter.

Und der gelb-schwarze Trubel wird heute Abend nach dem Spiel noch ausgelassener werden, wenn wohl die Steelers ihren Titel feiern. Denn den halten die Buchmacher für wahrscheinlich, obwohl Pittsburgh die deutlich schlechtere Saisonbilanz als Seattle aufweist. Doch die drei beeindruckenden Auswärtssiege in den Play-offs haben die Steelers zum Team der Stunde gemacht. Den in Verteidigung und Angriff gleichermaßen gut besetzten, häufig aber unspektakulär agierenden Seahawks traut man eher weniger zu.

Einen Wettstreit wird es heute allerdings auch auf musikalischer Ebene geben. Denn dass die NFL ausgerechnet in der Musikstadt Detroit mit ihrer „Motown“-Tradition die Rolling Stones zum Hauptakt des künstlerischen Teils während der Halbzeitpause gemacht hat, das hatte schon im Vorfeld Proteste in Detroit ausgelöst. Und in dieser Woche flackerte der Ärger der Weltstars aus Detroit erneut auf: Aretha Franklin, heute bei der Nationalhymne im Einsatz, zeigte sich öffentlich verwundert darüber, dass die Wahl auf die Stones fiel, da die NFL doch schon früher bei ihr selbst für andere Super Bowls als Zugnummer angefragt habe. Und Stevie Wonder, der die musikalische Eröffnung des Abends im Stadion übernimmt, ließ mit einem Schmunzeln durchblicken, dass er alles tun werde, um einen Vorgang von vor vielen Jahren, ebenfalls in Detroit, zu wiederholen: Damals stahl er bei der Einweihung eines Veranstaltungszentrums als erster Künstler ebenfalls dem Headliner die Show. Der hieß auch damals Rolling Stones.

Jens Könemann[Detroit], Ingo Wolff

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