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Deutsche Elf: Nah am Stamm

Die Vorbereitung zur Euro läuft nicht ganz rund. Im Spiel gegen Serbien setzt Löw schon fast auf die mutmaßliche Anfangself der EM – sie erinnert an 2006. Doch die Abwehr zittert weiter.

Nemanja Vidic ist ein Fußballer ohne Furcht, eine richtige Kante, gestählt in vielen Schlachten. Vor knapp zwei Wochen hat der Serbe mit Manchester United die Champions League gewonnen, und vermutlich gibt es nicht viele Gegenspieler, die ihn vor große Probleme stellen. Kurz vor dem Ende des Spiels der Serben gegen die deutsche Nationalmannschaft aber geriet Vidic in eine Situation, mit der er sichtlich überfordert war. David Odonkor flog auf ihn zu, und Vidic wusste sich nicht anders zu helfen, als den Angreifer mit einem krachenden Bodycheck aus seiner Flugbahn zu befördern. Es gab Freistoß für die Deutschen auf Höhe des Elfmeterpunkts. In diesem Moment dürfte wohl Bundestrainer Joachim Löw mit sich zufrieden gewesen sein.

Für genau solche Aktionen hat Löw den Leichtathleten Odonkor in seinen Fußballer-Kader für die Europameisterschaft berufen. Dieser eine Moment, in dem Odonkor einen vielleicht entscheidenden Freistoß erzwingt, macht zehn Momente wett, in denen er mit seiner taktischen Legasthenie oder seiner unzureichenden Ballbehandlung die eigene Mannschaft in Gefahr bringt. Sechs Tage sind es noch, bis die Deutschen gegen Polen in die EM starten. Am Tag X minus acht, beim 2:1 (0:1) gegen Serbien in Gelsenkirchen, hat der Bundestrainer seine personellen Vorstellungen für das Turnier weitgehend offen gelegt, inklusive seiner alternativen Lösungsmodelle für bestimmte Situationen. David Odonkor hat in Löws Drehbuch wie so viele andere längst seinen festen Platz.

„Es gibt schon noch das eine oder andere Fragezeichen. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, antwortete der Bundestrainer auf die Frage, ob er seine EM-Mannschaft bereits im Kopf habe. Das ist wohl eher als taktische Aussage zu verstehen, die dazu dient, die Trainingsintensität auch in der letzten Woche der Vorbereitung mithilfe eines Pseudo-Konkurrenzkampfes innerhalb der Mannschaft hoch zu halten. „Die aktuellen Trainingsleistungen spielen eine wichtige Rolle“, sagte Löw.

Gegen die Serben schickte er eine Mannschaft aufs Feld, die seiner mutmaßlichen Stammelf bereits gefährlich nahe kam. Für Miroslav Klose, der wegen leichter Sprunggelenksprobleme geschont wurde, muss noch einer der beiden Stürmer weichen, die in Gelsenkirchen beginnen durften. Aller Voraussicht nach trifft es Kevin Kuranyi, dem gegen Serbien so gut wie gar nichts gelang. Weil aber auch Mario Gomez bei Weitem nicht so zielstrebig auftrat wie gewohnt, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Bundestrainer den WM-Angriff aus dem Jahr 2006 reaktiviert und Lukas Podolski an der Seite von Miroslav Klose stürmen lässt.

Es steckt ohnehin eine Menge Sommermärchen in Löws Kader, denn 15 von 23 Spieler waren schon bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren dabei. Noch mehr Sommermärchen aber steckt in Löws Anfangself. Der Bundestrainer wird höchstens zwei Spieler aufbieten, die 2006 nicht zum WM-Aufgebot gehörten: Gomez im Sturm und Clemens Fritz im rechten Mittelfeld. Der Bremer ist erster Anwärter auf die Vertretung des verletzten Bernd Schneider, doch zur allgemeinen Zufriedenheit besetzte er die Position gegen Serbien nicht. Nach der Pause versetzte Joachim Löw Bastian Schweinsteiger vom linken ins rechte Mittelfeld, dessen Platz nahm fortan Lukas Podolski ein.

Podolski das linke Mittelfeld zu überantworten hält der Bundestrainer für „eine durchaus überlegenswerte Variante“. Der Münchner habe sich gut eingefunden ins Spiel und Druck nach vorne gebracht. Auch Kapitän Michael Ballack konnte sich mit der Idee anfreunden, Podolski ins Mittelfeld zurückzuziehen, „weil er einen guten Schuss und einen guten Tordrang hat“. Und im günstigsten Fall wäre Löw mit nur einer personellen Veränderung gleich zwei Probleme los: Bastian Schweinsteiger würde für die rechte Seite frei, auf der er auch bei Bayern München spielt, und die Situation im Sturm würde ebenfalls ein wenig entzerrt werden.

Der Angriff der Nationalmannschaft mit fünf Anwärtern für zwei Plätze gilt als so gut besetzt wie lange nicht. Rückte Podolski ins Mittelfeld, gäbe es nur noch zwei Härtefälle. Aller Wahrscheinlichkeit träfe es Kevin Kuranyi am härtesten. Der Schalker sagt zwar, dass er immer versuche, für seine Mannschaft da zu sein, „egal wann ich gebraucht werde“, doch im Grunde weiß er selbst, dass er zum Joker nur bedingt taugt.

Kuranyis Auswechslung gegen Oliver Neuville wurde von einem entschlossenen Pfeifkonzert untermalt; wobei nicht ganz klar war, ob die Schalker im Publikum den Bundestrainer meinten oder der Rest auf diese Weise seine Meinung zu Kuranyis Leistung kundtat. Vier Minuten war Neuville auf dem Platz, als er mit seinem Tor zum 1:1 das lange vergebliche Bemühen der Mannschaft belohnte. Auf der Tribüne sprang Angela Merkel auf, zügelte sich aber gleich wieder, als hätte sie gemerkt, dass ein unkontrollierter Gefühlsausbruch bei einem Testspiel wohl etwas übertrieben wäre. Trotzdem erinnerte der Moment ein wenig an die WM 2006, als Neuville mit seinem Tor gegen Polen sämtliche Hemmungen löste. Neuvilles Nominierung wurde auch damals als eine Art Gnadenakt betrachtet: „Vor der WM haben alle gesagt, ich sei der fünfte Stürmer, aber dann bin ich immer als erster eingewechselt worden.“ Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Geschichte wiederholt.

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