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Neues Ziel der Begierde. Joachim Löw will 2016 mit dem Nationalteam den EM-Titel

© imago sportfotodienst

Deutsche Fußballnationalmannschaft: Nächstes Ziel: Eine goldene deutsche Ära im Weltfußball

Mit der Vertragsverlängerung bis 2018 beweist Bundestrainer Joachim Löw, dass ihm ein weiterer Titel nicht reicht. Er will jetzt eine Epoche im Weltfußball prägen wie zuvor die Spanier.

Anfang dieser Woche ist eine Nachricht verbreitet worden, die auf den ersten Blick eigentlich nichts mit Joachim Löw zu tun hat. Morten Olsen, der Trainer der dänischen Fußball-Nationalmannschaft, hat verkündet, dass er nach der Europameisterschaft 2016 in Frankreich sein Amt nach dann 16 Jahren zur Verfügung stellen wird. Auf den zweiten Blick hat das sehr wohl etwas mit Joachim Löw zu tun. Für ihn wird es im Sommer des kommenden Jahres auf jeden Fall etwas zu feiern geben. Nach Olsens Abschied wird Löw der Nationaltrainer sein, der weltweit am längsten im Amt ist. Wenn sein gerade verlängerter Vertrag 2018 ausläuft, wird er zwölf Jahre Bundestrainer gewesen sein. Und dass dann definitiv Schluss ist, steht lange noch nicht fest. „So ganz allmählich spüre ich auch, dass der Job ein bisschen Spaß macht“, hat Löw bei seiner Vertragsverlängerung vor einer Woche gesagt.

Das ist schon eine erstaunliche Wendung, wenn man sich noch einmal ins Gedächtnis ruft, wie vor gut einem Jahr der Stand der Debatte war. Kurz vor der Weltmeisterschaft in Brasilien galt es eigentlich als ausgemachte Sache, dass die WM die letzte Dienstreise für Löw sein werde. So oder so. Entweder, so hieß es, scheitere der Bundestrainer erneut vor dem großen Ziel: Dann sei er der Öffentlichkeit einfach nicht weiter vermittelbar. Sollte die Nationalmannschaft hingegen tatsächlich den Titel holen, werde Löw wohl von sich aus seinen Abschied einreichen – und auf dem Höhepunkt abtreten.

"Das kann noch nicht das Ende sein"

Selbst Menschen, die Löw gut kennen, haben solche Deutungen für ziemlich plausibel gehalten – ohne die Planungen des Bundestrainers im Detail zu kennen. Vielleicht hat der Bundestrainer seine Planungen im Detail selbst nicht gekannt, weil es vielleicht noch gar keine Planungen über den Tag X hinaus gegeben hat. Sogar mit engen Vertrauten hat Löw während der Weltmeisterschaft nicht über die Zukunft gesprochen, um sich nicht von der Gegenwart ablenken zu lassen. Als dann aber, nach dem Sieg im Finale gegen Argentinien, die Zukunft Gegenwart war, hat Löw „relativ schnell gemerkt, dass ich noch weitere Ziele habe, dass das noch nicht das Ende sein kann“. Im Grunde ist ihm das noch während der Feierlichkeiten nach dem siegreichen WM- Finale klar geworden: „Das Gefühl in Rio war unglaublich toll und mit nichts zu vergleichen. Dieses Gefühl noch einmal zu erleben, wäre etwas Wunderschönes.“

Joachim Löw hat in diesem Zusammenhang immer wieder auf seinen Austausch mit Vicente del Bosque verwiesen, der 2010 in einer ähnlichen Situation war: Er hatte mit Spanien gerade zum ersten Mal den WM-Titel gewonnen – und dachte gar nicht daran, auf dem Höhepunkt abzutreten. Er wollte zwei Jahre später auch Europameister werden. „Es ist eine besondere Herausforderung, eine Mannschaft, wenn sie ganz oben ist, nochmals weiterzuentwickeln“, sagt Löw.

Viele Spieler sind erst jetzt im besten Fußballeralter

Es ist kein Zufall, dass der Bundestrainer sich explizit auf den Kollegen del Bosque beruft. Jahrelang haben sich die Deutschen vergeblich an den Spaniern abgearbeitet. Sie waren ihnen Schrecken und Vorbild zugleich – und im Grunde hat die Nationalmannschaft ihr Trauma erst mit dem Sieg im WM-Finale überwunden. Als Vorbild taugen die Spanier Löw allerdings weiterhin: weil sie zwischen 2008 und 2012 eine Epoche geprägt haben. Nicht nur durch ihre Erfolge (zwei EM- und ein WM-Titel), sondern auch durch ihre Art, Fußball zu spielen. Dem spanischen Zeitalter sollen nun goldene Jahre für den deutschen Fußball folgen. Auch das ist die Botschaft, die von Löws Vertragsverlängerung ausgeht. Der Bundestrainer denkt jetzt in größeren Zeiträumen: Er hat nicht nur die nächste Europameisterschaft im Blick, sondern auch schon die Weltmeisterschaft 2018 in Russland. „Es ist ein wahnsinnig großes Ziel, den WM-Titel in Europa zu verteidigen“, sagt Löw.

Er selbst sieht die Voraussetzungen als verheißungsvoll an. Die Vertragsverlängerung hat Löw als eine „Entscheidung von Herz und Hirn“ bezeichnet, „weil ich diese Mannschaft noch nicht am Ende ihrer Entwicklung sehe“. Ein Großteil des Kaders ist jetzt im besten Fußballeralter angelangt, dazu kehren mit Ilkay Gündogan und Holger Badstuber für die Länderspiele in der kommenden Woche (Mittwoch gegen Australien, Sonntag in Georgien) zwei von Löw hoch geschätzte Spieler in den Kader zurück. Und auch Marco Reus, der die WM in Brasilien wegen einer Verletzung verpasst hat, dürfte noch den nötigen Hunger auf Titel haben.

Löw: "Junge Spieler besser machen"

Vor allem aber sieht der Bundestrainer „viele junge Spieler, die nachkommen“. Dass sie noch nicht im Kader für die beiden anstehenden Länderspiele auftauchen, muss nicht zwingend ein Widerspruch sein. Die Zukunft des deutschen Fußballs wird in dieser Saison noch in der U 21 vorspielen, für die im Sommer die Europameisterschaft in Tschechien ansteht. Dass ein solches Turnier eine erfreuliche Wirkung entfalten kann, hat sich 2009 gezeigt, als Deutschland in Schweden den EM-Titel holte. Zur siegreichen U-21-Mannschaft gehörten damals Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Benedikt Höwedes, Sami Khedira und Mesut Özil. Alle wurden fünf Jahre später Weltmeister.

Der aktuelle U-21-Jahrgang mit den Torhütertalenten Bernd Leno und Marc-André ter Stegen, mit Maximilian Arnold, Emre Can, Johannes Geis, Kevin Volland, Max Meyer und Serge Gnabry gilt als ähnlich begabt wie die Klasse von 2009. Im Kader von U-21-Trainer Horst Hrubesch stehen derzeit sieben Spieler, die bereits Erfahrungen in der A-Nationalmannschaft gesammelt haben, dazu mit Mathias Ginter sogar ein Weltmeister. „Junge Spieler besser zu machen, ist für einen Trainer eine ganz reizvolle Sache“, sagt Löw.

Frische Autorität

Vor dem erfolgreichen WM-Turnier Brasilien war vor allem die unerfüllte Sehnsucht nach Titeln Gegenstand der Debatten um den Bundestrainer. Bei dieser Diskussion ist allerdings immer ein wenig übersehen worden, dass Löw schon zuvor tief in den deutschen Fußball hineingewirkt hat, dass er sein exponiertes Amt genutzt hat, um entscheidende Impulse zu setzen, und die Nationalmannschaft als eine Art Labor zur Entwicklung des schönen Fußballs verstanden hat. Löw hat schon in der Vergangenheit Themen angesprochen, die zu ihrer Zeit nicht immer opportun erschienen. Er hat die Bedeutung von Ballkontaktzeiten ins öffentliche Bewusstsein gerückt und Foulspiele auf den Index gesetzt, als in Fußballdeutschland noch die Meinung vorherrschte, man müsse auch „mal richtig dazwischenhauen“, wenn man erfolgreich sein wolle.

Dass Löw nun Weltmeistertrainer ist, schadet seiner Glaubwürdigkeit ganz sicher nicht. Im Gegenteil. Die frische Autorität verleiht seinen Ideen noch mehr Gewicht. „Wir müssen in den nächsten Monaten Schritte nach vorne machen, um konkurrenzfähig zu bleiben“, hat der Bundestrainer schon Ende des vergangenen Jahres gesagt, als der WM-Taumel noch immer in die Gegenwart hineinreichte.

Borussia Dortmund als mahnendes Beispiel

Löw ist überzeugt, dass man sich immer wieder neu erfinden muss, um sich treu zu bleiben – weil der moderne Fußball sich in rasanter Geschwindigkeit wandelt. Was heute State of the Art ist, kann morgen schon hoffnungslos veraltet sein. Es ist einfacher, nach oben zu kommen, als sich oben zu behaupten, wie der Fall Borussia Dortmund gerade beweist. Diese Gefahr sieht Löw auch auf die Nationalmannschaft zukommen. „Wir müssen einfach lernen, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen“, sagt er. „Der Fußball entwickelt sich weiter. Wir werden ein paar neue Wege gehen.“

Selbst vermeintliche Gewissheiten stehen auf dem Prüfstand. Löw hat in seine Arbeit immer die Erkenntnisse der Wissenschaft einfließen lassen, seine Ideen mit objektiv erhobenen Daten unterfüttert. Aber nicht mal darauf will sich Joachim Löw in Zukunft verlassen. Es geht um nicht weniger als die Frage: Ist alles, was wir über Fußball zu wissen glauben, eigentlich richtig? Radikaler geht es nicht.

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