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Jogi Löw

© AFP

Deutsche Mannschaft: Es rumpelt wieder

Die deutsche Mannschaft erreicht erstmals seit 1996 das EM-Viertelfinale, verfällt dabei aber in längst überwunden geglaubte Muster.

Ganz am Ende bot sich Bastian Schweinsteiger noch eine glänzende Gelegenheit zu einem offensiven Vorstoß. Doch auch dieser Versuch blieb im Ansatz stecken, weil der Weg wieder einmal von den eigenen Leuten zugestellt wurde. Im Kabinengang hatte der rotgesperrte Schweinsteiger Schiedsrichter Gonzalez entdeckt, und am liebsten hätte er dem Spanier noch ein paar Worte zu seiner Entscheidung gesagt, Bundestrainer Joachim Löw auf die Tribüne zu verweisen. Aber bevor der blonde Mittelfeldspieler loslegen konnte, „haben sie mich gleich in die Kabine reingelotst“ und ihn damit vermutlich vor einer weiteren Sperre bewahrt. Das war überhaupt das Beste, was sich nach dem 1:0 gegen Österreich von der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sagen ließ: dass sie Schlimmeres verhindert hat.

Zum ersten Mal seit 1996 haben die Deutschen die Vorrunde einer Europameisterschaft überstanden, doch was vor zwei Wochen noch als Selbstverständlichkeit durchgegangen wäre, hat die Mannschaft erheblich mehr angestrengt als erwartet: In altdeutscher Art hat sie sich durch ihre nicht besonders anspruchsvolle Gruppe gerumpelt. Den Deutschen, die bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren das ganze Land mitgerissen haben, ist die Leichtigkeit abhanden gekommen, und nach den beiden Spielen gegen Kroatien und Österreich deutet wenig darauf hin, dass sie sie auf die Schnelle wieder findet.

Der Verlust hat das Land gänzlich unvorbereitet getroffen. Den Deutschen fehlen Energie und Eleganz, Pepp und Präzision, Systemsicherheit und Selbstvertrauen – all das, wofür sie seit der WM ausgelassen gefeiert worden ist. „Wenn man mutig ins Spiel geht, lässt man das auch den Gegner spüren“, sagte Torhüter Jens Lehmann. Österreich aber spürte wenig bis gar nichts. Der Spielaufbau vollzog sich in unglaublicher Trägheit, weil niemand sich im Tempo anbot, die Bälle flogen hoch durchs Mittelfeld, anstatt hart und präzise über die Grasnarbe zu surren, die Laufwege der Mitspieler waren so unergründlich wie verschlungene Trampelpfade durch den Regenwald, und die Stürmer blockierten sich gegenseitig.

Dass Christoph Metzelder gegen Österreich 94 Prozent seiner Pässe an den eigenen Mann brachte, Per Mertesacker gar 96 Prozent, ist nur auf den ersten Blick eine Traumquote. In Wirklichkeit belegen die Zahlen nur das zaudernde Aufbauspiel aus der Innenverteidigung. Angesichts der nervlichen Anspannung sei es normal, „dass man nicht unbedingt immer das Risiko sucht, von hinten heraus zu kombinieren“, sagte Löw. „Das war spielerisch nicht unser wahres Gesicht und unser Können.“ Der Anspruch, die EM zu gewinnen, wirkt schon jetzt schrecklich vermessen, auch angesichts der Auftritte von Mannschaften wie Holland oder Portugal. Trotzdem sagt Kapitän Michael Ballack: „Die hohen Ziele haben wir weiterhin.“

Die ersten Exegeten sehen bereits einen Richtungsstreit innerhalb der Nationalmannschaft heraufziehen, in dem der Bundestrainer für den schönen und anspruchsvollen Fußball streitet und Ballack sich als Befürworter der so genannten deutschen Tugenden positioniert. Eine derartige Deutung verkennt allerdings, dass die Deutschen im Moment zu schönem und anspruchsvollem Fußball gar nicht in der Lage zu sein scheinen. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Mannschaft sich irgendwie durch die EM quält, dass es bei den Spielern längst eine innere Gereiztheit gibt. „Das ist hier sowieso ein zähes Turnier“, sagte Torsten Frings, und Bastian Schweinsteiger berichtete, dass er im Hotel manchmal die Pressekonferenz der Nationalmannschaft am Fernseher verfolge und bei den Fragen der Journalisten denke: „Sind die für oder gegen uns? Der allgemeine Pessimismus war wieder da.“

Bei der WM haben die Spieler diese vermeintliche Negativstimmung noch in positive Energie umwandeln können. Die anhaltende Kritik an der deutschen Abwehr hat Per Mertesacker damals so sehr aufgeladen, dass er sich nach dem Sieg gegen Polen, dem ersten Spiel ohne Gegentor, mit einer abfälligen Geste von den Journalisten auf der Pressetribüne verabschiedete. 2006 hat die emotionale Komponente noch eine viel größere Rolle gespielt –weil sie den Spielern über ihre spielerischen Defizite hinweghalf. Löw aber wollte aus der Stärke, die Klinsmann der Mannschaft eingeredet hat, eine tatsächliche machen. Möglicherweise aber braucht die Mannschaft noch mehr Emotionalität, als Löw gedacht hat.

Der Bundestrainer vertraut nicht seinem Gefühl, er vertraut seinem Plan. Dass die Spieler müde wirken, kann gar nicht sein, „weil wir schon auch gute Daten haben“. Seit seinem Amtsantritt hat Löw versucht, die Mannschaft fußballerisch und taktisch besser zu machen, die Emotionalität zu beschneiden und das Spiel gewissermaßen vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Einen sicheren Stand aber hat sie noch nicht. Wenn die Mannschaft vor zwei Jahren den Analytiker Joachim Löw als Korrektiv zum Gefühlsmenschen Jürgen Klinsmann gebraucht hat, dann braucht sie jetzt eigentlich Jürgen Klinsmann als Korrektiv zu Joachim Löw.

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