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Fahrradtour statt Saunagang. Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen (r.) lassen es einfach mal rollen.

© dpa/Charisius

Deutsche Nationalelf vor der EM 2016: Auf der Suche nach dem besonderen Spirit

Die deutsche Nationalmannschaft glaubt, Teamgeist und Hierarchie für eine gute EM-Endrunde zu haben – und das diesmal auch ohne besondere Maßnahmen.

Von ganz unten, vom See, ist das Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gar nicht zu sehen. Es liegt versteckt hinter dem massigen Hotel Royal, das über Évian in den grünen Hügeln thront. Könige und Fürsten sind hier schon abgestiegen; während der EM beherbergt es die Delegation des Deutschen Fußball-Bundes um Präsident Reinhard Grindel.

Die Unterkunft der Nationalmannschaft gehört zwar zum selben Komplex und ist über eine hölzerne Brücke für die Delegation leicht zu erreichen. Allerdings ist sie mit einem Stern weniger dekoriert als das Hotel der Offiziellen. Klagen über mangelnden Luxus waren von den Nationalspielern bisher trotzdem nicht zu vernehmen. „Ich find’s gut hier“, sagt Torhüter Manuel Neuer. „Sehr kompakt, aber auch sehr schön“ sei die Anlage. „Man läuft sich öfter über den Weg.“

Die Wahl des Quartiers ist für den DFB vor großen Turnieren immer schon alles andere als ein nachrangiges Thema gewesen. Was 1954 mit dem Geist von Spiez angefangen hat, fand vor zwei Jahren im Campo Bahia seine Fortschreibung mit zeitgemäßen Mitteln. „Kopieren kann man’s nicht“, sagt Innenverteidiger Benedikt Höwedes über die Unterkunft direkt am Meer, dem für den Gewinn des WM-Titels eine entscheidende Bedeutung beigemessen worden ist.

Quartiermeister Oliver Bierhoff hat es auch gar nicht erst versucht. Im Gegenteil: Der Manager der Nationalmannschaft hat eher das Gegenstück zum Campo Bahia gesucht – in der Hoffnung, dass am Ende das gleiche Ergebnis herauskommt. Im Hotel Royal hat der Schriftsteller Marcel Proust zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ein paar Kapitel seines Romans „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ geschrieben; etwas weiter oberhalb, im Hotel Ermitage, befindet sich Bundestrainer Joachim Löw gerade auf der Suche nach dem besonderen Geist. „Wir müssen diesen Geist noch entwickeln“, sagt Bierhoff.

Es gibt in dieser Hinsicht kein Patentrezept, das man bei jedem Turnier nur wieder aufs Neue hervorkramen muss. Vor zwei Jahren zum Beispiel ging die Mannschaft in der Vorbereitung gemeinsam in die Sauna. „Schwitzen für den Pokal“ hieß die Idee, die sich der Mannschaftsrat ausgedacht hatte. Der Saunaweltmeister war nach Südtirol gekommen, mit gut 60 Mann saß der DFB-Tross in der Sauna. Oliver Bierhoff ist bei solchen Maßnahmen immer etwas vorsichtig, weil sie schnell als gewollt oder gequält rüberkommen, aber in diesem Moment, so erzählt er, will er gespürt haben: Hier passiert gerade etwas.

Lahm, Mertesacker, Klose: Nach den Rücktritten haben sich Gewichte verschoben

Man kann aus einer Mannschaft nichts herausholen, was nicht in ihr ist. Einen zerstrittenen Haufen wird man durch einen Besuch im Klettergarten nicht zu einer verschworenen Einheit zusammenschweißen. „Das ist nichts, was vom Trainer reingetragen wird, das muss in der Mannschaft entstehen“, sagt Verteidiger Mats Hummels. „Ich habe schon das Gefühl, dass wir eine sehr gute Atmosphäre haben und die Mannschaft zusammengewachsen ist.“ Von einer besonderen Aktion wie dem kollektiven Schwitzen hat der Spielerrat diesmal abgesehen. „Wir haben alles zusammen, was man haben muss für eine erfolgreiche Mannschaft“, glaubt Hummels.

Dazu gehört auch eine belastbare Hierarchie im Team. Die Gewichte haben sich verschoben, seitdem Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose ihre DFB-Karriere beendet haben. „Ein bisschen ein Leck“ hat Löw nach deren Abschied aus der Nationalmannschaft ausgemacht. Nicht nur an sportlicher Qualität hat das Team dadurch eingebüßt, auch an integrativer Kraft. Der Mangel scheint nun behoben.

„Wir haben sicher eine Zeit gebraucht, um wieder eine gewisse Führung in die Mannschaft reinzubekommen“, sagt Thomas Müller. Der Münchner steht vor seinem vierten großen Turnier und wirkt schon deshalb ganz anders in das Team hinein als bei seiner ersten WM-Teilnahme 2010. „Damals war ich damit beschäftigt, dass ich meinen eigenen Tagesablauf hinbekomme. Jetzt schaue ich, dass die anderen ihren Tagesablauf auch gut hinbekommen“, sagt Müller. „Ich versuche mehr, das große Ganze zu sehen.“

Mit dieser Haltung steht Müller nicht allein. Es sind vor allem die Spieler, die 2009 U-21-Europameister geworden sind, die jetzt nicht nur sportlich das Team prägen. Leute wie Neuer, Hummels, Höwedes oder Sami Khedira. „Sie schauen nicht nur auf die eigene Leistung“, sagt Löw, „sondern auch auf die anderen Spieler: Was kann ich tun, damit sie besser werden? Wie kann ich helfen?“ Gerne auch bei der Bewältigung des Tagesablaufs.

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