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Sogar Heiko Westermann wird in der Nationalelf zum unüberwindlichen Hindernis für seine Gegenspieler.

© AFP

Deutsche Nationalmannschaft: Defensiv deutlich verbessert

Gegen Italien und England hat sich die Nationalmannschaft in der Defensive deutlich verbessert präsentiert. Die Kritik an der vermeintlichen Wackelabwehr ist damit zunächst einmal verstummt.

Per Mertesacker und Roman Weidenfeller fielen regelrecht übereinander her. Sie umarmten sich, lachten und hüpften. Es war allerdings nicht ganz klar, wer hier nach dem 1:0-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen England wen feierte: der Verteidiger Mertesacker seinen Torhüter Weidenfeller? Oder der Torhüter Weidenfeller seinen Verteidiger Mertesacker? Nach streng objektiven Kriterien war Mertesacker der Spieler des Spiels gewesen. Er hatte vorne das einzige Tor geköpft und hinten den ganzen Laden zusammengehalten. Auf den vier Positionen der Abwehrreihe hatten sich im Laufe der 90 Minuten insgesamt acht verschiedene Spieler versucht, allein Mertesacker blieb im Wembley-Stadion vom Anfang bis zum Ende auf dem Feld. „Der Per, der stand da und hat die anderen organisiert“, sagte Bundestrainer Joachim Löw. „Er ist in der Defensive immer am richtigen Platz und gibt der Abwehr Stabilität.“

Dass die Nationalmannschaft das Jahr mit einem Zu-null-Spiel beendete, hatte in der Tat mehr mit dem überragenden Innenverteidiger vom FC Arsenal zu tun als mit dem Torhüter Weidenfeller, der mit süßen 33 sein Länderspieldebüt feierte. „Torwartspezifisch war heute nicht allzu viel zu tun“, sagte der Dortmunder, der das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht bekam. Und vermutlich war diese Wahrnehmung auch seinem Überschwang geschuldet. In Wirklichkeit hatte Weidenfeller torwartspezifisch gar nichts zu tun gehabt. Kein einziger Ball flog auf sein Tor. Ein Schuss sauste haarscharf an Weidenfellers Fingerspitzen vorbei und landete am Pfosten.

„Wir haben das Spiel sehr gut im Griff gehabt“, sagte Löw. „Alle haben in der Defensive mitgemacht, und man hatte nicht das Gefühl, die Engländer könnten uns ausspielen.“ Das ist eine erfreuliche Erkenntnis sowohl zum Jahresabschluss als auch im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im Sommer – und möglicherweise ist es schon mehr als nur eine Momentaufnahme. Die Nationalmannschaft hat sich zuletzt defensiv deutlich verbessert präsentiert. Auch gegen Italien, einen Gegner von gehobener Klasse, waren die Fortschritte bereits zu sehen. Kapitän Philipp Lahm, der in London geschont wurde, stellte jedenfalls nach dem 1:1 in Mailand fest, dass die Mannschaft „taktisch wieder einen Schritt nach vorne gemacht“ habe.

Dieser Fortschritt lässt sich auch mit Zahlen belegen. In den ersten sechs Spielen des Jahres – bis zum heftig bekrittelten 3:3 gegen Paraguay – hat die Nationalmannschaft zehn Gegentore kassiert; in den letzten sechs waren es vier. Vier Mal hielt die deutsche Defensive dabei die Null, allein das 5:3 in Schweden war ein Rückfall in vogelwilde Zeiten. Für Löw ist diese Tendenz kein Zufall. Wenn in der zweiten Jahreshälfte die Doppelspieltage anstehen und er sein Team mehrere Tage anleiten kann, „kommt die Mannschaft in einen guten Rhythmus rein“.

Die beiden jüngsten Länderspiele deuten zudem auf einen wichtigen Erkenntnisprozess hin: Die Mannschaft scheint mehr und mehr zu begreifen, dass Verteidigung nicht allein Sache der letzten fünf Männer ist. „Defensiv ist für mich alles, was vor der Viererkette passiert: das Zustellen der Räume, das Anlaufen, das Pressing“, sagt Linksverteidiger Marcell Jansen. „Alle Mannschaften, die das beherrschen, sind erfolgreich. Alle, die das nicht so beherrschen, sind nicht erfolgreich.“

Deutschlands erfolgreichste Mannschaften waren zuletzt Bayern und Dortmund, und das Paradoxe ist, dass die Nationalmannschaft zu großen Teilen aus Bayern und Dortmundern besteht. Im Nationaltrikot aber schienen sie bei der Defensivarbeit manchmal einem gewissen Anarchismus zu frönen, der ihnen in ihren Klubs längst einen Ordnungsruf eingebracht hätte. Die Länderspiele in Italien und England hingegen wirkten nun wie ein allgemeines Bekenntnis zur Seriosität.

Die Nationalmannschaft attackierte früh und geschlossen, störte damit gezielt den Spielaufbau des Gegners und ließ sich bei Bedarf zurückfallen. „Situativ machen wir ein gutes Pressing“, sagte Löw. Vermutlich hat das auch etwas mit den Gegnern zu tun. Die Partien gegen Italien oder England mögen offiziell Freundschaftsspiele gewesen sein; psychologisch waren sie das eben nicht. „Wenn es drauf ankam, haben wir uns als Mannschaft verbessert“, sagte Löw. Mit Blick auf die WM, wenn es wirklich darauf ankommt, ist das durchaus beruhigend.

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