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Volle Streckung. Simon Tischer fürchtet keinen Gegner.

© Reuters

Deutsche Volleyballer: Viele Witze, keine Kompromisse

Die deutschen Volleyballer starten hoch motiviert ins Turnier. Dabei war das Team vor ein paar Monaten noch ein lustloser Haufen. Doch unter dem neuen Bundestrainer Vital Heynen hat sich einiges verändert.

Manchmal fährt der Mannschaftsbus einfach zu einer anderen Zeit los als ursprünglich geplant. Einfach so, weil sich ein paar deutsche Volleyballer das gewünscht haben. Und weil der Rest nichts dagegen hatte. Oder die Truppe muss später zum Essen trotten. Weil nach kurzem Palaver alle damit einverstanden waren. So läuft das jetzt im Trainingslager und bei Turnieren der Volleyball-Nationalmannschaft. „Früher“, sagt Simon Tischer, der Zuspieler, „war der Plan festgelegt. Punkt.“ Jeder hatte sich danach zu richten. „Da hat es dann bei einigen innerlich gebrodelt.“ Raul Lozano hatte das festgelegt, der kleine Argentinier, der seine Spieler behandelte wie ein Feldwebel seine Rekruten. Lozano war Bundestrainer, bis sich sein Team bei der EM 2011 blamierte. Vorletzter. Eine Katastrophe.

Sein Nachfolger ist Vital Heynen. Der Belgier fährt sich ständig durch die kurzen grauen Haare, kann nie ruhig bleiben und reißt gerne Witzchen. „Ich habe ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“, sagt er launig und zwinkert einem zu. „Er hat uns den Spaß am Volleyball zurückgebracht“, sagt Tischer. Er hat 189 Länderspiele absolviert und viel erlebt, aber einen wie den Belgier hatte er selten als Coach. Seit März ist Heynen im Amt, seit März hat sich eine lustlose Truppe in ein hoch motiviertes Team verwandelt. In der entscheidenden Olympia-Qualifikation besiegten die Deutschen das Weltklasseteam aus Kuba. Tischer ist ein Mann, der eher leise und emotionslos redet. Aber jetzt sagt er fast ehrfurchtsvoll: „Wir haben vor keiner Mannschaft mehr Angst.“ Auch nicht vor Russland, dem ersten Gruppengegner heute in London.

Heynen bindet seine Spieler ein, ohne die Chefrolle aufzugeben. Einmal ließ er jeden Spieler schriftlich zwei Fragen beantworten: „Wie sehe ich mich selber? Wie sehe ich die anderen im Team?“ Danach werteten sie gemeinsam die Antworten aus. Und, Überraschung: „Jeder hatte seine eigene Bedeutung im Team unterschätzt“, sagt Tischer. Ihm dem Regisseur, trauten sie viel mehr zu als Tischer erwartet hatte. „Das gibt mir Selbstvertrauen. Andererseits steigert es natürlich auch das Verantwortungsbewusstsein.“

Drohender Lagerkoller? Heynen organisiert, dass die Freundinnen und Frauen zu den Lehrgängen kommen. Er fragt die Spieler auch, wann sie frei haben wollen. Tischer, der Familienvater, „war so oft zu Hause wie schon lange nicht mehr“. Lukas Kampa, die Nummer zwei als Zuspieler, wollte nach einer langen Saison auch eine Woche frei. Abgelehnt. „Du hast lange genug nicht gespielt“, sagte Heynen. Selbst eine schlechte Nachricht verbindet der Belgier mitunter mit einem motivierenden Unterton.

Aber Heynen kann auch stechend scharf in seiner Kritik sein. Sein Verständnis von Spaß hat klar gezogene Grenzen. Sein erstes Telefonat mit Diagonalangreifer Jochen Schöps war eine lockere Sache. Heynen riss Witzchen. Als Schöps in seinem ersten Training unter Heynen einen Fehler machte, brüllte der Coach den 243-maligen Nationalspieler an. „Er geht im Training keine Kompromisse ein“, sagt Kampa. Lozano liebte das Risiko, Fehler wurden akzeptiert. Heynen hasst Risiko, safety first, das ist sein System. Also lässt er viel Block und Abwehr trainieren. Es zahlt sich aus. „Wir sind erstaunt, wie viele Bälle wir in der Abwehr und im Block abwehren“, sagt Tischer.

Wieder legt sich ein ehrfurchtsvoller Unterton in seine Stimme. „Heynen“, sagt der Regisseur, „hat in der kurzen Zeit erreicht, dass wir unser Können wieder vollständig abrufen. Das ist sein größter Verdienst.“

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