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Deutsche Wimbledon-Finalistin: Sabine Lisicki wollte immer nur das Eine

Sie wollte die Beste sein, schon als kleines Mädchen. Diesem Wunsch ordnete die Familie alles unter, zog fürs bessere Tennistraining nach Berlin, schickte die Tochter nach Florida. Jetzt fehlt Sabine Lisicki nur noch ein letzter Schritt zum großen Ziel.

Der alte rote Nissan ist inzwischen verschrottet. 268 000 Kilometer hatte der Wagen ausgehalten, mehr ging nicht. Kreuz und quer durch Europa ist Richard Lisicki damit gefahren, jahrelang, von einem Jugendturnier zum nächsten. Ohne Sponsoren war die Reisekasse meist klamm. Doch er nahm das in Kauf, weil seine Tochter Sabine eines unbedingt wollte: Tennisprofi werden. „Manchmal mussten wir die Teilnahme an einem Turnier absagen, weil wir es nicht mehr rechtzeitig dorthin geschafft haben“, erzählt Sabine Lisicki. Zu Hause stand ihr Vater jeden Tag von morgens um acht bis abends um zehn Uhr auf dem Tennisplatz und gab Trainerstunden. „Das hat er nur für mich gemacht, um mir das Tennisspielen zu ermöglichen.“ Eigentlich ist Richard Lisicki Historiker.

Als Sabine Lisicki noch im Grundschulalter war, hatte sie mit ihrer Familie einen Ausflug nach London unternommen. Die berühmte Church Road im Südwesten der Stadt besuchten sie auch. Dort liegt der All England Club, das Heiligtum für alle, die sich dem Tennissport verbunden fühlen. Sabine Lisicki hatte es sofort gepackt. „Ich weiß noch genau, wie wir reingegangen sind“, erinnert sie sich, „ich habe mit ganz großen Augen geguckt und diese besondere Atmosphäre aufgesaugt.“ Danach stand für sie fest, dass sie hier eines Tages spielen würde. Hier, auf dem Centre Court von Wimbledon, auf dem Tennisgeschichte geschrieben wurde, wollte sie die Siegerschale gewinnen. „Davon habe ich immer geträumt“, sagt sie.

Am Sonnabend könnte sich dieser Traum für Sabine Lisicki erfüllen. Mit 23 Jahren steht sie zum ersten Mal im Finale (ab 13 Uhr im Liveblog bei Tagesspiegel.de) eines Grand-Slam-Turniers, und das auch noch in Wimbledon. Jenem Ort, an dem die Tradition dieses Sports noch fühlbar ist, mit der weißen Spielkleidung, der prätentiösen Etikette. Und es ist ein Ort, an dem auch deutsche Profis große Erfolge feierten: Boris Becker, Michael Stich und Steffi Graf, die siebenmal auf dem englischen Rasen gewann. Zuletzt stand Graf 1999 im Endspiel, da war Lisicki gerade neun Jahre alt und saß mit ihren Eltern vor dem Fernseher. Nun ist für sie selbst die Siegerschale zum Greifen nahe, einzig die Französin Marion Bartoli steht ihr im Weg. Ein Schritt fehlt, dann wäre der Masterplan der Familie Lisicki endlich aufgegangen.

„Der harte Weg, den wir gegangen sind, hat uns zusammengeschweißt“, sagt sie, „und er hat uns stark gemacht.“ Ihren Eltern habe sie alles zu verdanken, niemandem sonst als ihnen wolle sie ihren Finaleinzug widmen. Vor 30 Jahren waren Richard und Elisabeth Lisicki als Spätaussiedler aus Breslau hergekommen. „Als Historiker musste man sich entweder dem System unterordnen oder auswandern“, sagte er. Seine Frau war Künstlerin, und zunächst zogen die beiden nach Bonn. Richard Lisicki studierte in Köln Sportwissenschaft und jobbte nebenher als Tennistrainer beim TC Rot-Weiß Troisdorf. Seine Promotionsarbeit „Trainingsmethoden für die Entwicklung der Schlaggeschwindigkeit unter Beibehaltung der Schlagpräzision“ setzte seine Tochter von klein auf immer besser in die Praxis um.

Beim LTTC Rot-Weiß bereitet man sich schon auf das Finale vor

Vor zehn Jahren zog die Familie nach Berlin, der LTTC Rot-Weiß bot Lisicki bessere Trainingsmöglichkeiten. Ihr Vater wurde Trainer im Verein und blieb erster Förderer seiner Tochter. Die Klubanlage des LTTC liegt im Grunewald. Bis heute wird hier in Weiß gespielt wie in Wimbledon. Stolz ist man im Verein auf das Steffi-Graf-Stadion, das den Centre Court beherbergt. Direkt nebenan liegt der zweite große Platz, der noch unbenannt ist. Wird er bald Lisicki-Platz heißen? „Sabine steht am Anfang ihrer Karriere. Perspektivisch würde ich nichts ausschließen“, sagt Werner Ellerkmann, der seit zwei Jahren Präsident des LTTC ist.

Die Vorbereitungen für das Finale am Sonnabend um 15 Uhr haben in Sabine Lisickis Berliner Tennisklub längst begonnen. „Wir haben alle eingeladen, auf unserer Vereinsterrasse am Mittag gemeinsam zu grillen und anschließend Sabine zu unterstützen“, sagt Rot-Weiß-Sportdirektor Markus Zoecke. „Wir hoffen auf über 100 Personen.“ Bei Lisickis Halbfinal-Erfolg gegen die Polin Agnieszka Radwanska waren rund 60 Mitglieder im Vereinsheim, das auch „das Wohnzimmer“ genannt wird, dabei. „Sie hat eine große Chance, den Titel nach Hause zu holen. Auf Rasen kann sie alle schlagen“, sagt der ehemalige Tennisprofi Zoecke.

Bianca Freymuth-Brumby ist seit 60 Jahren Mitglied im Verein. Im Mai, während der Vorbereitung auf die French Open, hat sie Lisicki zuletzt auf dem Gelände gesehen und war begeistert. Das Halbfinale von Wimbledon hat auch sie im Vereinsheim verfolgt. „Ich habe gewettet, dass Sabine in drei Sätzen gewinnt. Was soll ich sagen? Wette gewonnen.“

Die Berliner Welt der Sabine Lisicki hat aber auch eine andere Seite, die mit der gediegenen Welt von Grunewald wenig zu tun. Die Familie wohnte im Berliner Osten. Im ehemaligen Eliteinternat des DDR-Sports in Hohenschönhausen ließ sich mit dem Olympiastützpunkt nach Meinung von Vater Richard die Schule mit dem Profisport am besten verbinden. Constantin Braun, heute Eishockeyprofi bei den Eisbären Berlin, lernte Lisicki vor sieben Jahren in der Schule als „offene, hilfsbereite Person und lebensfrohen Menschen“ kennen. Die Tennisspielerin habe nie „große Allüren gehabt“. Braun, heute noch freundschaftlich mit Lisicki verbunden, sagt, das öffentliche Bild von Lisicki zeige nur eine Seite. Es sei keinesfalls so, dass sich die Tennisspielerin nur für Tennis interessiere. „Sabine und ich, wir reden nie über Sport.

Eishockey mag Sabine Lisicki, bei Spielen der Eisbären ist sie oft in der Arena am Ostbahnhof, wenn es ihre Zeit zulässt. Aber davon hat sie wenig. Zuletzt war sie im Dezember dort. „Früher hat sie sogar damit angegeben, dass sie mich kennt“, erzählt Braun. Die Zeiten seien jetzt wohl vorbei. Braun glaubt aber nicht, dass der Rummel um ihre Person Lisicki groß verändern wird. „Sabine wird nicht abheben.“

Trainerguru Bollettieri bringt Lisicki voran - mit harten Methoden

Braun hat Lisicki als gute Schülerin in Erinnerung. „In Englisch haben wir beide mal 15 Punkte in einer Klausur geschrieben.“ Doch Erfolge im Tennis waren Lisicki wichtiger als gute Noten. Sie ließ sich vom Gymnasium beurlauben, denn längst häuften sich die Erfolge auf dem Tennisplatz. Ihre Eltern überlegten, was der nächste Schritt für ihre spielerische Entwicklung sein könnte und fuhren zunächst nach Trübbach, in den Schweizer Kanton St. Gallen. Dort betrieb die Mutter der fünfmaligen Grand-Slam-Siegerin Martina Hingis, Melanie Molitor, eine Tennisschule. „Als kleines Mädel kam Sabine mal zu uns, hat ein paar Mal mit uns trainiert“, erinnert sich Hingis. Doch die Schweizerin spielte damals selbst noch auf der Tour, daher waren die Möglichkeiten bei Molitor begrenzt. „Meine Mutter sagte ihnen deshalb: Wenn Sabine wirklich spielen will, soll sie zu Bollettieri gehen.“

Nick Bollettieris berühmte Akademie in Bradenton im US-Staat Florida hat in der Tennisszene einen zweischneidigen Ruf: Einerseits hat der mittlerweile 81-jährige Trainerguru gleich dutzendweise große Stars ausgebildet, unter ihnen Andre Agassi, Jim Courier, Maria Scharapowa oder auch Thomas Haas. Doch auf der anderen Seite erreicht er diese Erfolgsquote vor allem mit gnadenlosem Drill. Die Schwachen werden ausgesiebt, doch wer hier durchkommt, ist für das zehrende Tourleben bereit.

„Mein Vater hat viel von Bollettieri gelernt“, sagt Sabine Lisicki. Zunächst flogen sie immer mal für eine Trainingswoche nach Florida, dann wurden es zwei Wochen und länger. Inzwischen nahm sie auch der Vermarktungsgigant IMG unter Vertrag, der Mitbetreiber der Akademie. „Bollettieri war ein wichtiger Schritt für mich“, sagt Lisicki, „er hat mir geholfen, mein Potenzial auszuschöpfen.“ Denn dessen Philosophie ist so simpel wie erfolgreich: Man darf sich selbst nie limitieren. Nur, wer an das größte Ziel felsenfest glaubt, wird es auch erreichen. Und nur, wer sich für den Besten hält, wird es eines Tages auch werden.

Sabine Lisicki hat schon von jeher danach gelebt. Sie wollte immer die Beste sein und hat das auch immer so gesagt. Dass diese Attitüde bei manchen Konkurrentinnen nicht sonderlich gut ankommt und sie in der Umkleidekabine nicht sehr beliebt ist, stört sie nicht. Tennis ist alles für Lisicki. Auch ihr Freund, der Schwimmer Benjamin Starke, kommt deswegen oft zu kurz.

Inzwischen ist Sabine Lisicki ganz nach Bradenton gezogen. Nur selten noch ist sie in Hohenschönhausen, wo ihre Eltern noch eine Wohnung haben. Am Montag aber will sie nach Berlin kommen. Egal, wie das Spiel ausgeht, der LTTC Rot-Weiß will ihr einen großen Empfang bereiten.

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