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Lahm

© dpa

Deutscher EM-Auftakt: Philipp Lahm: Der Toröffner

Bei der WM 2006 schoss der Münchner, am Arm verletzt, den ersten Treffer. Ein Unterschätzter leitete schließlich das Sommermärchen ein. Jetzt ist Lahm etabliert, rückte von links auf rechts und soll heute Abend gegen Polen (20.45 Uhr/ZDF) ein weiteres Mal überraschen.

Philipp Lahm hat viel Fassbares an sich. Er hat wache Augen, einen flotten Haarschnitt, eine flinke Zunge und ist auch von seinen sonstigen Ausmaßen recht handlich für einen ausgewachsenen Nationalfußballer. Schade nur, dass der Kleinste im deutschen Team nicht mehr ganz komplett ist. Wenn Philipp Lahm am Sonntagabend im Wörtherseestadion zu Klagenfurt gegen Polen aufläuft, wird an seinem linken Arm etwas fehlen – die Manschette.

Die Manschette gehört nämlich zur Geschichte des Philipp Lahm wie sein Tor, das vor zwei Jahren eine famose Weltmeisterschaft für die deutsche Mannschaft eingeleitet hatte. Es ist eine Geschichte des Aufstiegs vom Balljungen beim FC Bayern hin zu einem Spieler, um dessen Verbleib an der Isar der deutsche Rekordmeister bis vor wenigen Tagen zäh gerungen hat, sonst wäre Lahm beim Weltklub in Barcelona gelandet.

Nun fehlt also die Manschette. Genau genommen tut sie das schon seit zwei Jahren, als sie eine Art Maskottchen-Status für das deutsche Team erlangt hatte. Beinahe hätte der damals 22 Jahre alte Münchner das Turnier verpasst. Bei einem Juxspiel kurz vor der WM kam Lahm im Strafraum des brandenburgischen Oberligisten FSV Luckenwalde unglücklich zu Fall. Er zog sich einen Teilabriss der Sehne im linken Ellenbogen zu. Lahm gab nicht auf, er spürte das Vertrauen von Jürgen Klinsmann, er schaffte schließlich den Sprung in die Startelf und bedankte sich auf seine Weise.

Als das WM-Eröffnungsspiel gegen Costa Rica gerade fünf Minuten alt war, narrte Lahm auf der linken Seite zwei Costaricaner, die ihm den Weg zur Grundlinie versperren wollten. Lahm, der unter seinem langärmeligen Trikot eine Manschette trug, schlug einen Haken nach innen und schlenzte den Ball vom linken Eck des 16-Meter-Raumes in den rechten Torwinkel. Für die Statistiker war es der erste Treffer der WM, für die Deutschen aber, den Gastgeber, war es mehr, es war eine Erlösung, eine Initialzündung, ein magischer Moment. Am Ende landete die deutsche Mannschaft auf dem dritten Platz, nationaler Höhepunkt eines Ereignisses, das jeder als Sommermärchen empfand.

Jetzt steht wieder so ein wichtiges Auftaktmatch an, das für den weiteren Turnierverlauf die Weichen stellen und zudem Euphorie entfachen kann. Und natürlich wird Lahms Geschichte herausgekramt. „Klar wurde ich von einigen gefragt, ob ich im ersten Spiel nicht wieder die Manschette anlegen werde“, sagt er und lächelt kopfschüttelnd in sich hinein. „Ich lasse es.“

Erst neulich, zu Beginn der dreiwöchigen Vorbereitung der Deutschen auf die EM, hat Lahm erzählt, dass er in den zurückliegenden zwei Jahren immer wieder auf seine Manschette und sein Eröffnungstor angesprochen wird. So oft, dass es ihm schon peinlich wurde. Ein wenig Schuld daran habe er ja selber. Gleich nach dem Spiel hatte Lahm im Überschwang seiner Gefühle drauflos geplaudert. „Für mich war es das Tor des Jahres, es war sogar das Tor meines Lebens“, hatte Lahm in die vielen Mikrofone trompetet. Lahms Geschichte war in vielen Zeitungen tagelang Titelthema.

Schließlich gab es eine Einmischung von ganz oben. Maradona hatte Lahms Auftritt gegen Costa Rica von der Tribüne des Münchner WM-Stadions aus verfolgt. Der frühere Weltklassespieler aus Argentinien, seit einem irregulären Treffer auch „die Hand Gottes“ genannt, war so begeistert, dass er in Lahm den Megastar des Turniers gesehen haben wollte. Selbst seriöse Zeitungen schnappten damals leicht über und schrieben von der verlängerten Hand Maradonas, der Manschette Gottes eben. Tatsächlich bestritt der quirlige Außenverteidiger als einziger alle WM-Spiele der Deutschen über volle 90 Minuten (mit Manschette) und wurde hinterher mit großer Mehrheit ins All-Star-Team des Turniers gewählt.

Mittlerweile haben sich die Dinge etwas verschoben. Philipp Lahm ist nicht mehr der vielleicht zu klein geratene Verteidiger, den die Deutschen damals auf die linke Verteidigerposition gestellt haben, weil sie keinen Geeigneten mit einem starken linken Fuß hatten. Lahm wurde damals unterschätzt von der Gegnerschaft. „Ich spiele jetzt mein drittes großes Turnier. Ich bin eine feste Größe in der Nationalmannschaft“, sagt Lahm. Er sei schließlich keine 19 mehr, er habe inzwischen 41 Länderspiele bestritten und mit den Bayern einige Titel gewonnen. „Wenn mir etwas nicht passt oder ich sehe, das etwas nicht in die richtigen Bahnen läuft, sage ich das. Allerdings kommt das bei uns in der Nationalmannschaft sehr selten vor.“

Tatsächlich hat sich nicht nur Lahms Standing in der Nationalelf verändert, sondern auch seine Position. Er ist von der linken auf die rechte Abwehrseite gerückt. Auf eigenen Wunsch. „Weil ich da einen Tick stärker bin“, sagt Lahm. „Vielleicht ist das aber auch nur ein Gefühl.“ Aber dieses Gefühl gebe ihm Sicherheit. Wenn er mit einem Gegenspieler mitlaufe, könne er ihn mit rechts, seinem stärkeren Fuß, attackieren. Auf links habe er nur mit der Außenseite seines rechten Fußes angreifen können. „Ich weiß nicht, ob man das verstehen kann, wenn man nicht Fußball spielt. Es sind Details, aber die entscheiden heute.“

Kurz vor der EM hat Lahm noch eine andere Kleinigkeit geklärt. Er verlängert seinen Vertrag beim FC Bayern bis 2012. Er sagte dem FC Barcelona ab, der ihm ein Vermögen geboten hatte. Jürgen Klinsmann, der neue Bayern-Trainer, hatte sich eingeschaltet. Lahm bestreitet zwar, dass sein früherer Förderer in der Nationalmannschaft den Ausschlag für sein Ja-Wort gegeben habe, aber die Visionen Klinsmanns dürften ihm gefallen haben. „Ich kenne seine Ansichten, ich weiß, wie das Training aussehen wird und wie sich Mannschaft sowie Umfeld entwickelt werden. Das war wichtig, denn ich will auch international was erreichen“, sagt Lahm. „Das geht nur, wenn alles andere auch auf höchstem Niveau passiert. Es bewegt sich was in München.“

Der Nationalspieler Philipp Lahm hat bisher zwei Tore geschossen, das eine 2004 und das andere 2006. Es wurmt ihn, dass es noch nicht mehr sind. Aber der zeitliche Abstand macht ihm Mut. „Alle zwei Jahre eins“, sagt Lahm, „dann muss es jetzt ja wieder passieren.“ Und dieses Mal ganz ohne Manschette.

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