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Sport: Deutscher Fußball-Bund: Bis an die Schmerzgrenze

Als Gerhard Mayer-Vorfelder vor einiger Zeit verwundert nach seiner Einladung für ein Bankett beim VfB Stuttgart fragte, vertröstete ihn ein sichtlich verlegener Hansi Müller auf eine Präsidiumssitzung am anderen Tag. Dort erst, so der damalige Öffentlichkeitsdirektor, werde entschieden, ob noch ein Stuhl für Mayer-Vorfelder, den Ehrenpräsidenten des Vereins, frei sei.

Als Gerhard Mayer-Vorfelder vor einiger Zeit verwundert nach seiner Einladung für ein Bankett beim VfB Stuttgart fragte, vertröstete ihn ein sichtlich verlegener Hansi Müller auf eine Präsidiumssitzung am anderen Tag. Dort erst, so der damalige Öffentlichkeitsdirektor, werde entschieden, ob noch ein Stuhl für Mayer-Vorfelder, den Ehrenpräsidenten des Vereins, frei sei. Das Ergebnis wurde dem Mann, der 25 Jahre die Geschicke des Vereins gelenkt hatte, am anderen Tag telefonisch mitgeteilt: Er könne gerne kommen, aber aus Platzmangel gelte die Einladung nur für eine Person.

Natürlich hat ein solcher Vorgang mit Stil und Etikette zu tun. Er zeigt aber auch, dass selbst der VfB Stuttgart keine großen Erwartungen mehr an den 68-Jährigen hat. Der wird zwar morgen in Magdeburg beim Bundestag des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zum Präsidenten des größten Sportverbandes gewählt werden, aber durch die neue Eigenständigkeit des Profifußballs im Ligaausschuss verliert der Nachfolger von Egidius Braun an Macht und Einfluss.

"Ein König ohne Land", schreibt der "Spiegel" über den künftigen DFB-Chef, und die "Sport-Bild" hat in ihrer Rangliste der 100 mächtigsten Männer im deutschen Fußball den Stuttgarter Funktionär auf Platz 54 eingestuft - hinter Spielervermittlern und Krankengymnasten. Mayer-Vorfelder ohne Macht? Das ist vor allem für einen unvorstellbar: für Mayer-Vorfelder selbst. Und so sitzt er in seinem neuen DFB-Büro in Stuttgart, ganz oben im Haus des Energiekonzerns EnBW, und fühlt sich wie so oft: verkannt. Gerne würde er es allen noch einmal zeigen. Wie früher in der Politik, als Kultus- und Finanzminister. Oder wie beim VfB Stuttgart, den er in 25 Jahren Präsidentschaft zweimal zur Deutschen Meisterschaft und einmal zum Pokalsieg führte. Ja, früher. Da ist er immer wieder aufgestanden, hat allen Skandälchen getrotzt. Und immer wieder haben sich auch seine Gegner vor ihm verneigt, weil er Agitator, Motivator und Provokateur in einem war.

Und heute? Den "schlafenden Riesen DFB" werde er wecken, verspricht er, und sein großes Ziel verschweigt er auch nicht: 2006 soll die Weltmeisterschaft der Superlative werden - im eigenen Land, mit einer Nationalmannschaft, die wieder zu den Großen der Welt gehört. "Daran werde ich mich messen lassen", sagt Mayer-Vorfelder. Genau in diesem Moment trifft die goldene Rolex mit dem goldenen Armkettchen hart auf den Tisch. Mayer-Vorfelder, der Retter des deutschen Fußballs. "Das wäre doch eine schöne Schlagzeile", sagt er. Vielleicht ist das ein Erklärungsversuch dafür, warum sich ein Polit- und Funktionärsrentner mit 68 noch einen ehrenamtlichen Vollzeitjob wie den des DFB-Präsidenten antut. Ruhestand kommt in seinem Sprachschatz nicht vor, und so mancher Fahrer, der ihn durchs Leben chauffiert hat, ist dadurch bis an die Grenzen der eigenen Gesundheit gegangen. "Einmal habe ich ihn morgens um fünf nach irgendeiner heftigen Präsidiumssitzung beim VfB zu Hause abgeliefert. Und als ich ihn um acht Uhr wieder holen sollte, stand er auf dem Gerüst an seinem Haus und diskutierte mit einer Flasche Bier in der Hand mit den Bauarbeitern schon wieder über Fußball", erzählt einer.

"Meine Erfüllung habe ich immer darin gefunden, etwas bewegen zu können. Ich brauche das, das ist faszinierend, das ist toll", sagt er und ereifert sich über den "Jugendwahn", den er "für einen Witz" hält. Es sei ein Wahnsinn, was an Erfahrungsschatz kaputt geschlagen werde, indem man Leute mit 55 in Rente schicke. Schließlich dürfe es nur um die Frage gehen: Kann der das oder kann der das nicht? "Und heute traue ich mir das zu", sagt Mayer-Vorfelder.

Vielleicht war es auch nicht der richtige Zeitpunkt, um alles aufzugeben. Denn so machtlos wie in den vergangenen Monaten hat man den einstigen Strippenzieher im Fußballgeschäft noch nie erlebt. Da ist die Geschichte mit dem VfB. "Sie war nicht gerade förderlich, mich als großen Helden darzustellen", sagt er. Von den eigenen Aufsichtsratsmitgliedern, die er 24 Jahre wie Marionettenfiguren beherrscht hatte, ist er so an die Wand gedrückt worden, dass er die Herren Müller und Förster als Präsidiumsmitglieder aufnehmen musste, bei seiner letzten Hauptversammlung ist ein Schuldenberg von fast 30 Millionen bekannt gegeben worden, und die Mannschaft steht vor dem Abstieg in die Zweite Liga. "Alle haben nur auf das letzte Jahr geschaut. Dabei habe ich den Verein aus dem Nichts geführt", sagt Mayer-Vorfelder, der sich auch schon mal als "Glücksfall für den VfB" bezeichnet.

Da ist die Geschichte mit dem Ligaausschuss. Natürlich war es sein Ziel, als er nach 20 Jahren aus der Politik ausstieg, hauptamtlicher Ligaausschuss-Vorsitzender zu werden und damit der mächtigste Mann im deutschen Profifußball. Doch er merkte bald, dass er sich dieses Mal nicht gegen die bayrische Phalanx würde durchsetzen können. Selbst in den Gremien konterten die Bayern Mayer-Vorfelder mehrmals aus, sodass sich der nur noch auf Rückzug und Sarkasmus verlegen konnte. Heute wird er vom neuen Ligachef Werner Hackmann schon gerügt, wenn er sich in seinem DFB-Büro nur zu den Bundesligaanstoßzeiten öffentlich äußert. Er sei empfindsamer geworden, gibt er zu. Ja, das habe vielleicht mit dem Alter zu tun. Aber aus der Politik hat Mayer-Vorfelder gelernt. "Wenn du angegriffen wirst, musst du stehen. Du darfst dich nie aus den Schuhen blasen lassen", sagt er - und erinnert an den Fall Daum. Mayer-Vorfelder wollte seinen Freund als Einstandsgeschenk mitbringen, den neuen Bundestrainer. Und dann wäre er beinahe über Christoph Daum und dessen Kokain gestolpert. "Mayer-Vorfelder muss als DFB-Präsident verhindert werden", forderte Paul Breitner noch vor Wochen im "heute-Journal". Vergebens.

Vielleicht ist alles zusammen der Grund, warum er sich morgen zum DFB-Präsidenten wählen lässt. Er wird ein anderer Chef sein als sein Vorgänger. "Egidius Braun war Egidius Braun. Ich bin Gerhard Mayer-Vorfelder", sagt er. Und der will nun in erster Linie die Nationalmannschaft steuern. "Der Egidius hat sich da mehr rausgehalten. Ich werde das nicht tun", kündigt er an. So plant Mayer-Vorfelder ganz gezielt für 2006. 20 Millionen Mark pro Jahr will er bis dahin in die Talentförderung stecken, eine "jahrgangsübergreifende WM-Mannschaft 2006" will er möglichst schon ab dem nächsten Jahr zusammen spielen lassen. "Die Jungs sollen richtig ausgebildet werden zum Nationalspieler", sagt Mayer-Vorfelder, der überzeugt ist, dass die Talente da sind. Und deshalb "darf niemand dem DFB den Vorwurf machen können, ihr habt nicht das getan, was notwendig ist. Wir werden auch finanziell bis an die Schmerzgrenze gehen." Was Mayer-Vorfelder damit sagen will: Ich, der DFB, tue alles, um den deutschen Fußball zu retten.

Irgendwie hat man das Gefühl, dass Gerhard Mayer-Vorfelder noch nicht ganz aufgegeben hat und kein König ohne Land sein will. Denn was die Strategien anbelangt, da denkt er immer noch weit voraus. "Passen Sie auf", sagt er und deutet auf die Jalousie, die sich gerade durch Sonneneinstrahlung langsam nach unten bewegt. "Das ist Mechanismus Nummer eins. Und jetzt folgt der zweite Mechanismus: Die Tür geht auf, Frau Wagner kommt und fährt sie wieder nach oben." Es klopft. Frau Wagner kommt. "Ich lasse die Jalousien wieder hoch", sagt sie. Ihr Chef schaut triumphierend in die Runde. Gerhard Mayer-Vorfelder hat eben immer noch alles im Griff.

Horst Walter

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