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Nachwuchssorgen? Also bitte! Miroslav Klose ist der einzige Spieler aus dem deutschen EM-Kader, bei dem ein Rücktritt aus Altersgründen nahe liegt.

© dpa

Deutsches EM-Fazit: Veränderungen nur im Kleinen

Trotz der Halbfinal-Niederlage wird es im Nationalteam keine großen Veränderungen geben – warum auch? Nur der Trainer muss zu alter Konsequenz zurückfinden.

Miroslav Klose sprach eine traurige Wahrheit gelassen aus, er lächelte sogar. „Für mich gibt es nicht mehr viele Europameisterschaften“, sagte der Stürmer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach der Halbfinal-Niederlage gegen Italien. Klose hat am Anfang des Turniers in Polen und der Ukraine seinen 34. Geburtstag gefeiert, bei der nächsten EM wäre er 38. Es ist unwahrscheinlich, dass er dann noch dabei ist. Für den deutschen Fußball ist das keine gute Nachricht. Dem Land fehlt ein Stürmertyp wie Klose – nur zehn Jahre jünger. Das Land hat Mario Gomez, aber so wie die Nationalmannschaft spielt (oder spielen möchte), kann sie mit einem Stürmertypen wie Gomez eher weniger anfangen. Das hat sich im EM-Halbfinale gegen Italien noch einmal auf erschreckende Weise gezeigt.

Ein großes Turnier ist immer so etwas wie eine natürliche Zäsur in der Entwicklung einer Mannschaft. Ein Zyklus geht zu Ende. Für die Deutschen gilt das nach der EM 2012 nur bedingt. „Es gibt keinen völligen personellen Einschnitt“, sagt Bundestrainer Joachim Löw. Seine Mannschaft war die jüngste des Turniers, vom Alter her wäre nur Miroslav Klose ein logischer Kandidat für einen Rücktritt. Doch so, wie die 1:2-Niederlage gegen Italien zustande gekommen ist, wird eine Weiter-so-Haltung im Volk auf wenig Gegenliebe stoßen. Das beweist schon die Führungsspieler-Debatte, die gerade mal wieder entbrannt ist.

Dabei zeigt ein Blick auf die beiden EM-Finalisten, wie sehr die Sehnsucht der Deutschen nach starken Typen an der Realität vorbeigeht. Die Spanier werden von Andres Iniesta und Xavi Hernandez angeführt, zwei verhuschten Jungs, die nichts Effenbergisches an sich haben. Und bei den Italienern gibt mit Andrea Pirlo ein bekennender Melancholiker die große Linie vor. Es geht auf diesem Niveau nicht darum, eine große Klappe zu haben, es geht um fußballerische Kompetenz. Alles andere ergibt sich.

Löw muss in seinen Entscheidungen wieder klarer werden

Auch bei der deutschen Mannschaft, deren Statik sich während der EM bereits verändert hat. Alte Kämpen (gemessen an Länderspielen, nicht an Lebensjahren) haben an Einfluss eingebüßt: Per Mertesacker, über Jahre die Konstante der deutschen Defensive, hat bei der EM nicht eine Sekunde gespielt. Bei Lukas Podolski war jede Sekunde, die er gespielt hat, im Grunde eine zu viel. Auch Bastian Schweinsteiger hat an Renommee verloren. Mag sein, dass das vor allem an seiner körperlichen Konstitution gelegen haben mag. Trotzdem ist es fraglich, ob der „emotionale Leader“ (Löw) seine alte Position jemals zurückerlangen wird. Dafür hat Sami Khedira Schweinsteigers Schwäche viel zu überzeugend kompensiert. Auch Mats Hummels zählt trotz seines Fehlers gegen Italien zu den teaminternen Gewinnern des Turniers. Vom Wackelkandidaten ist er während der EM zur festen Größe aufgestiegen.

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Eine große Umwälzung steht der Nationalmannschaft nicht bevor, im Kleinen aber wird es Veränderungen geben müssen. Das betrifft vor allem die Arbeit des Bundestrainers. „Es gibt nach einem Spiel keinen Grund, alles infrage zu stellen“, hat Joachim Löw noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Ausscheidens gesagt. Individuelle Fehler hatte er für die Niederlage verantwortlich gemacht. Aber wenn er das Turnier in ein paar Wochen einer sachlichen Analyse unterziehen wird, wird der Bundestrainer auch die strukturellen Mängel entdecken, die vor allem er selbst zu verantworten hat. Löw war nicht konsequent genug: im Umgang mit Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski und Mario Gomez. Auch nicht mit Marco Reus. Er wolle den Gladbacher unbedingt mal ganz vorne sehen, hatte Löw vor dem Turnier gleich mehrmals gesagt. In der Sturmspitze eingesetzt hat er ihn dann aber nicht ein einziges Mal. Dabei ist Reus ein Kandidat für die Nachfolge von Miroslav Klose. Er kann sich auf engem Raum behaupten, ist zudem kombinationssicher und abschlussstark. Künstlich klein halten kann Löw den künftigen Dortmunder nach dessen beiden Auftritten gegen Griechenland und Italien jedenfalls nicht mehr.

Löw muss in seinen Entscheidungen wieder klarer werden, weniger Rücksicht auf Einzelschicksale nehmen. Er hat das schon einmal geschafft: nach der EM 2008, seinem ersten großen Turnier als Chef, das er trotz des Einzugs ins Finale als fußballerische Enttäuschung empfunden hat. Löw hat danach den Konkurrenzkampf erhöht, die Priorität nicht mehr auf Erfahrung gelegt, sondern auf fußballerische Qualität und jugendliche Frische. Im Grunde ist Joachim Löw in einer komfortablen Situation. Er muss nur wieder zu sich selbst finden.

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