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Die Spieler schlichen nach der Niederlage gegen Holland vom Platz.

© dpa

DFB-Krise verschärft sich: Die Nationalmannschaft und Joachim Löw sind erschöpft

Das deutsche Team kämpft inzwischen nicht mal mehr – Bundestrainer Joachim Löw kann weder sich noch die Mannschaft erneuern.

Gegen Ende, als die Blamage von Amsterdam immer greifbarer wurde, nahm die ganze Sache alarmierende, ja fast schon tragische Züge an. Jerome Boateng, 30, raffte sich zu einem letzten Sprint auf, den er gar nicht mehr gewinnen konnte. Sein Nebenmann Mats Hummels, 29, stand spieltechnisch geografischen spieltechnisch im Irgendwo und hinten im Tor war Manuel Neuer, 32, erneut machtlos. Es waren schlimme Schlussminuten für die deutsche Mannschaft, die am Samstag in ihre Einzelteile zerfiel. Vorgeführt von einem holländischen Perspektivteam.

Was hat eigentlich Hummels geritten?

Was mag bloß den Münchner Hummels geritten haben, als er wenig später vor ein Fernsehmikrofon die Flucht nach vorn antrat und allen Ernstes sagte, dass man sich nicht viel vorzuwerfen habe? Eigentlich hätte das deutsche Team das Spiel gewinnen müssen, wenn vorn die Tore gefallen wären.

Doch nicht nur Hummels schien die Probleme nicht mehr richtig einschätzen zu können. Auch der Bundestrainer wirkte überfordert. Joachim Löw zupfte sich seinen schwarzen Rollkragen zurecht, er sollte in dieser fast schon bemitleidenswerten Nacht für den deutschen Fußball weder die richtige Formation finden noch die passenden Worte. Vielmehr wirkte der 58-Jährige wie auch seine Mannschaft körperlich und mental erschöpft.

Löw spricht von einer brutalen Niederlage

Bisweilen hatte man den Eindruck, als spielte Löws Mannschaft die WM-Vorrunde nach, die sie im Sommer nicht überstanden hatte. Träge und geschwindigkeitslos im Spiel nach vorn, vogelwild bis panisch in der Abwehr. Dass nach dieser „sehr brutalen Niederlage“ die Diskussion um seine Person in der Öffentlichkeit neu entflammen werde, sei normal, sagte Löw. Dafür habe er Verständnis. „Aber es ist nicht meine Aufgabe, mich darum zu kümmern“, sagte Löw, er müsse sich nun um die Mannschaft kümmern.

Am Dienstag tritt sie in Frankreich an, dem Führenden der Nations-League-Gruppe. Der deutsche Mannschaft droht dann der Abstieg in die europäische Zweitklassigkeit. „Die Konstellation spricht gegen uns. Wir müssen jetzt in Paris Charakter zeigen und das Rückspiel im November gegen Holland gewinnen“, sagte Löw. „Wenn wir das nicht tun, steigen wir in der Tat ab.“

Gegen die junge Mannschaft aus dem Nachbarland ist Löw vor allem seine fehlende Lust auf Erneuerung auf die Füße gefallen. Sein stures Festhalten an den Weltmeistern von vor vier Jahren erwies sich als Fehler. Sie können derzeit die Mannschaft nicht führen. Sie sind verunsichert und körperlich nicht auf der Höhe. Spieler wie Leroy Sané, 22, oder Julian Brandt, 22, saßen eine Stunde lang auf der Bank. Mit ihnen war dann so etwas wie Schwung und Spielwitz ins deutsche Angriffsspiel gekommen. Nur konnten auch sie die Torchancen nicht nutzen. „Ein Tor, das wäre mal gut fürs Selbstvertrauen“, sagte Löw hinterher. Doch nur die mangelnde Chancenverwertung als Grund anzuführen, wäre zu einfach.

Löws holländischer Kollege Ronald Koeman, 55, hat einen echten personellen Umbruch vollzogen. Junge Spieler wie Frenkie de Jong, 21, oder Matthijs de Ligt, 19, sind heute Schlüsselfiguren der Elftal, die die deutsche am Ende förmlich zerlegte. Löw traut es seinen jungen Spielern noch nicht zu. „Wir dürfen keine Wunderdinge erwarten von den jungen Spielern, die 20, 21, 22 Jahre alt sind“, sagte er. Nur kann einer wie Boateng nicht die Antwort sein. Der 30-Jährige dehnte sich Mitte der ersten Halbzeit, gegen Ende quälte er sich über die Zeit. Am Sonntag reiste er wegen Wadenproblemen aus Amsterdam ab.

DFB-Präsident Grindel schließt Schnellschuss aus

Fragen nach seiner Zukunft wies Löw nach seinem 168. Länderspiel von sich. „Dafür bin ich der falsche Ansprechpartner“, sagte er irritiert. Auf das intensive Nachfragen eines holländischen Journalisten, ob es „also nicht seine Entscheidung sei, aufzuhören“, murmelte Löw auf Englisch ein „nicht im Moment“ ins Mikrofon. Nun scheint sich zu rächen, dass die Verbandsspitze um Präsident Reinhard Grindel das WM-Debakel nicht tiefgreifend hinterfragt hat, sondern Löw ohne Analyse zum Richtigen erklärte. Am Sonntag schloss Grindel „Schnellschüsse“ aus. „Unsere Konzentration gilt dem Spiel gegen Weltmeister Frankreich und danach dem Rückspiel gegen die Niederlande im November.“ Man müsse jetzt als Team zusammenhalten.

Das Ende einer einst großen Mannschaft hatte sich bereits im WM-Sommer von Russland angedeutet. Grindel, Löw und wohl auch ein Großteil der Spieler, die vor vier Jahren in Rio im Zenit ihrer Schaffenskraft standen, hielten das Vorrundenaus für eine Art Betriebsunfall. Wie falsch sie lagen, zeigten die Taten und Bilder von Amsterdam, als die Spieler sogar das Kämpfen aufgaben. Ein Umstand, den man einer deutschen Mannschaft selbst in schlimmsten Zeiten nie hatte vorwerfen können.

Und so wirkt es, als sei die Zeit über Löw und Co. hinweggezogen, als verkörperten sie die Vergangenheit. Und das an einem Tag, an dem wenige hundert Kilometer entfernt Per Mertesacker, ein anderer Weltmeister von 2014, vom aktiven Fußball seinen Abschied nahm. Er hatte den richtigen Zeitpunkt gefunden – und war mit dem WM-Titel aus der Nationalelf zurückzutreten.

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