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Die Mannschaft staunt, der Gegner wundert sich. Joachim Löw demonstriert vor der deutschen Bank Kunst am Ball.

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DFB-Team begeistert gegen Tschechien: Ode an die Spielfreude

Beim 3:0 über Tschechien in der WM-Qualifikation haben die deutsche Nationalmannschaft und Bundestrainer Joachim Löw so viel Spaß wie lange nicht.

Es zählt zu den Besonderheiten des Bundesliga-Standorts Hamburg, dass auf den Anzeigetafeln im Volksparkstadion nicht nur die Uhrzeit, sondern auch die aktuelle Temperatur angezeigt wird. Das hat den Vorteil, dass sich in den Monaten Oktober bis März das subjektive Kälteempfinden mit objektiven Zahlen belegen lässt. Es kann aber auch ganz schön frustrierend sein, wenn man quasi dabei zusehen kann, wie die Temperaturen ins Bodenlose stürzen. Als aber am Samstagabend das WM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und Tschechien angepfiffen wurde, wurden im Stadion zehn Grad gemessen; um halb elf, kurz vor dem Abpfiff, zeigte das Thermometer immer noch zehn Grad an. In Hamburg herrschten jetzt subtropische Temperaturen.

„O, wie ist das schön“, sangen die Zuschauer in der ausverkauften Arena nach dem 3:0-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. So etwas hatte man lange nicht gehört. Vor allem nicht im Volksparkstadion, das zuletzt als schwieriger Standort für Länderspiele identifiziert worden war, weil die Zuschauer der Nationalmannschaft mehrmals demonstrativ mit hanseatischer Reserviertheit begegnet waren. Diesmal schwappte die Welle durchs Rund, später wurde „die tolle Atmosphäre“ (Kapitän Manuel Neuer) von allen Beteiligten wohlwollend hervorgehoben. Von „sehr gut“ (Bundestrainer Joachim Löw) bis „wirklich klasse“ (Thomas Müller) reichte die Bandbreite der Lobpreisungen. „Es hat richtig Spaß gemacht, weil auch richtig Stimmung war“, sagte Innenverteidiger Mats Hummels.

In Wirklichkeit war es natürlich umgekehrt gewesen: Die Stimmung war richtig gut, weil das Spiel der deutschen Mannschaft richtig Spaß machte – nachdem es in der ersten Halbzeit auf den Rängen zeitweise noch so still gewesen war wie während einer Klassenarbeit im bischöflichen Mädchengymnasium. Am Samstagabend im Hamburger Volkspark wurden die Zuschauer Zeuge, wie die Nationalmannschaft zur Spielfreude zurückfand; sich dem Sog des Spiels zu entziehen, wurde von Minute zu Minute schwieriger. „Ich hatte heute das Gefühl, dass der Funke so richtig aufs Publikum übergesprungen ist“, sagte Hummels.

Die spannendste Frage war: Wer spielt den tollsten Pass?

Der Innenverteidiger hat inzwischen 52 Einsätze in der Nationalmannschaft hinter sich, aber den Abend in Hamburg ordnete Hummels „definitiv unter den Top drei meiner Heim-Länderspiele“ ein, „es war ein richtig gutes Länderspiel in allen Aspekten“. Und von allen Beteiligten. „Jeder einzelne Spieler hat eine tolle Leistung gezeigt“, fand Torhüter Neuer. „So stellen wir uns das vor.“ Man müsste schon eine Lupe mit extremer Vergrößerung zur Hand nehmen, um einen Spieler zu finden, der nicht mindestens die Note „Gut“ verdient hätte. Selbst Neuer durfte sich einmal auszeichnen, als er mit einem prächtigen Reflex gegen Borke Dockal den Anschlusstreffer verhinderte.

Wenn die Tschechen wirklich der stärkste Gegner in der WM-Qualifikation sind, dürfte die Veranstaltung auf Sicht eine ziemlich langweilige Angelegenheit werden. „Wir hatten das Spiel von Beginn weg und jederzeit unter absoluter Kontrolle“, sagte Bundestrainer Löw. Sein Team kombinierte sehr gefällig und kam zu vielen guten Gelegenheiten. Es war bemerkenswert, wie selbstverständlich sich die Mannschaft unterschiedlicher Stilmittel bediente. Vor ziemlich genau fünf Jahren hat sich Mats Hummels am selben Ort noch einen heftigen Anschiss des Bundestrainers eingehandelt, als er einen seiner langen Diagonalpässe spielte. Es war in der letzten Minute eines Freundschaftsspiels gegen Holland, die Deutschen führten 3:0 – und Löw tobte.

Mit seiner Einstellung von damals hätte Löw am Samstag spätestens nach 20 Minuten einen Herzinfarkt erlitten – weil Hummels und sein Nebenmann Jerome Boateng Diagonalball auf Diagonalball spielten. Für Manuel Neuer als interessierten Zuschauer aus der letzten Reihe war das „wirklich ein kleines Battle: Wer spielt den schönsten Pass?“ Gut, dass niemand entscheiden musste, wer den Bernd- Schuster-Award am meisten verdient hätte. Fast ausnahmslos erreichten die Bälle den jeweiligen Adressaten, selbst über eine Distanz von 60, 70 Metern.

Mit einer bestürzenden Sicherheit fanden die Deutschen immer das richtige Mittel gegen die Tschechen, egal ob die punktuell hoch pressten oder sich weit zurückzogen. Wenn die Nationalmannschaft ihre Sache ernst nimmt, „dann sind die Gegner nach 60 Minuten tot gelaufen, dann haben sie keine Chance mehr“, sagte Löw. Nach dem WM-Titel vor zwei Jahren hat er seine Spieler oft verteidigen müssen, weil sie sich nach dem Gipfel von Rio recht lustlos durch die Ebene namens EM-Qualifikation quälten und sich ihrer Pflicht allenfalls geschäftsmäßig entledigten. Dass die Mannschaft dann auch bei der Endrunde in Frankreich nicht mit der nötigen Entschlossenheit zu Werke gegangen ist, kann man durchaus als Spätfolge sehen.

Genau das soll sich diesmal nicht wiederholen. „Wir haben uns wirklich viel vorgenommen“, sagte Hummels über die WM-Qualifikation. „Wir wollen ganz anders reinkommen, im November schon zwölf Punkte haben und einen großen Schritt Richtung WM gemacht haben.“ Mit der Qualifikation allein soll es nicht getan sein, die Deutschen wollen auch souveräner Erster in ihrer Gruppe werden.

Die beiden 3:0-Siege aus den Spielen gegen Norwegen und Tschechien zeugen eindrucksvoll von der neuen Ernsthaftigkeit des Teams. „Wir haben jetzt gesehen, wie gut wir Fußball spielen können“, sagte Manuel Neuer. Ganz neu ist diese Erkenntnis nicht. Sie ist nur in den vergangenen beiden Jahren ein wenig in Vergessenheit geraten.

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