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Sport: Die alten Männer und nicht mehr

Nach dem Vorrunden-Aus ist Italien in Schockstarre. Trainer Lippi übernimmt die Schuld für die falsche Vorbereitung – dabei war seine Spielerauswahl das Problem

Ein Buchstabe nur macht zuweilen den Unterschied zwischen Himmel und Hölle aus. „Tutto vero“ (alles wahr) jubilierte die „Gazzetta dello Sport“ vor vier Jahren über den Titelgewinn in Deutschland. „Tutto nero“ (alles schwarz) lautete der minimalistische Kommentar des rosa Sportblatts angesichts des erbarmungswürdigen Ausscheidens des Titelverteidigers in der Vorrunde in Südafrika.

Die Art, wie das frühe Scheitern zustande gekommen ist, erinnert an den Auftritt der deutschen Mannschaft bei der EM 2000. Ohne Ideen und seltsam lethargisch hat sich das Team seinen Gegnern ergeben. Bei großen Fußballnationen wie Deutschland und Italien sind solche Lähmungsmomente die absolute Ausnahme.

In Italien ist der Katzenjammer daher groß. Die Historie wird bemüht, um die Dimension des Versagens auszumessen. 1974 scheiterte die Squadra Azzurra zum bislang letzten Mal in der Vorrunde, erinnerte die „Gazzetta dello Sport“. Die Tageszeitung „Repubblica“ überlegte, ob dies die „schlimmste Auswahl der vergangenen 50 Jahre oder überhaupt“ sei. Ausgangspunkt der Selbstkasteiung ist in diesem Fall die demütigende Niederlage gegen Nordkorea im Jahre 1966, die ebenfalls das Vorrunden-Aus bedeutete.

Immerhin wird die bittere Realität angenommen. Überrascht ist niemand. Zwar bedauerten Zambrotta, Buffon, Pirlo und Cannavaro die Art und Weise des Ausscheidens. Geknickt baten sie die Fans um Entschuldigung. Aber sie machten nicht den Eindruck, als hätten sie sich den kompletten Weg zum Finale zugetraut. Selbst der sonst gern im Anschein der Unfehlbarkeit daherkommende Trainer Marcello Lippi bekannte, dass er diese Truppe nicht für finaltauglich gehalten habe. Damit lag er wenigstens am letzten Tag seiner Amtszeit auf einer Linie mit den Millionen anderen Auswahltrainern im Lande.

Respekt erwarb sich Lippi allenfalls mit seinem Schuldbekenntnis: „Wenn man sich mit Angst in den Beinen und im Kopf präsentiert, bedeutet das, der Trainer hat das Spiel nicht richtig vorbereitet.“ Lippi gestand psychologische Fehler ein. Auf sein Bekenntnis, auch bei der Konstruktion der Mannschaft versagt zu haben, wartet die Nation noch.

Den alten Recken fehlte das letzte Quäntchen Motivation. Stellvertretend für diesen Mangel an Einstellung steht Gennaro Gattuso, dessen Qualitäten als Staubsauger vor der Abwehr das Team 2006 dem Titel ein wesentliches Stück näher gebracht hatten, der nun nach einer katastrophalen Leistung beim ersten WM-Einsatz schon zur Halbzeit in der Kabine blieb. Den jungen Spielern mangelte es schlichtweg an spielerischer Klasse.

In den vergangenen zwei Jahren zeigte sich immer wieder, dass diese Mannschaft schlechter ist als die WM-Combo von Berlin. Lippi entschied sich früh, den Verlust an Kreativität, den der Abschied von Altstars wie Alessandro Del Piero und Francesco Totti mit sich brachte, nicht adäquat zu ersetzen. Kandidaten dafür gibt es eigentlich genug: Das streitbare Genie Antonio Cassano von Sampdoria Genua oder der Wirbelwind Fabrizio Miccoli von US Palermo und der wegen seiner Explosivität als „Atombombe“ hochgejubelte Sebastian Giovinco von Juventus Turin zum Beispiel. In die Aufzählung passt auch noch das etwas schwierig zu trainierende Großtalent Mario Balotelli vom Champions-League-Sieger Inter Mailand. Lippi setzte stattdessen auf die Kraft des Kollektivs – das heißt, auf brave, stromlinienförmige Geister, die seine Entscheidungen nicht infrage stellen würden. Die leidenschaftslosen Auftritte, die sich durch die gesamte WM-Qualifikation zogen, und einen vorläufigen Tiefpunkt bei dem Vorrunden-Aus im Confed-Cup hatten, waren damit vorprogrammiert.

Der zweite Kardinalfehler lag darin, an Fabio Cannavaro im Abwehrzentrum festzuhalten. Der schon an der Talfahrt von Juventus Turin nicht ganz unschuldige 36 Jahre alte Innenverteidiger sorgte mit seiner Unsicherheit dafür, dass die Auswahl des Jahres 2010 allein in der Vorrunde mit fünf Gegentreffern mehr als doppelt so viel Tore kassierte wie im ganzen Turnier 2006, als es nur zwei waren.

Offenbar fehlte Lippi schon bei seiner Rückkehr auf den Posten des Nationalcoachs 2008 die Vision für einen Neuanfang. Auf seinen schon vor der WM feststehenden Nachfolger Cesare Prandelli kommt die Aufgabe eines kompletten Neuaufbaus zu. Was wie ein Titanenwerk anmutet, ist nach Ansicht von Serse Cosmi, dem gefeuerten Trainer von Absteiger Livorno, allerdings ein Kinderspiel: „Prandelli hat es leicht. Noch schlechter kann die Mannschaft nun wirklich nicht werden“, meinte er.

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