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Sport: „Die Balance war gestört“

Teampsychologe Arno Schimpf über das Scheitern der Deutschen, zu viele Termine und Birgit Prinz.

Herr Schimpf, das WM-Aus der deutschen Fußballerinnen kam für die Spielerinnen und auch für die meisten Zuschauer wie ein Schock. Haben Sie das als Teampsychologe auch so empfunden?

Ja, Schock ist der richtige Ausdruck. Ich glaube, dass die Mannschaft zum Zeitpunkt des Viertelfinals nur noch 80 Prozent leistungsfähig war, und das war zu wenig bei einem Gegner, der 100 Prozent abgerufen hat. Der Rhythmus der Mannschaft war gestört. Außersportliche Gegebenheiten und Notwendigkeiten haben die sportlichen Erfordernisse überlagert und zu viel Energie abgezogen. Dadurch waren die Spielerinnen einfach müde.

Was waren die außersportlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten?

Sponsorentermine, Interviews, Pressekonferenzen und und und. Der Trainings- und Regenerationsrhythmus war gestört. Wir hätten den Sport wieder in den absoluten Fokus rücken müssen. Dazu passt auch ein Zitat von Bundestrainerin Silvia Neid nach der WM: „Vielleicht hätten wir den ein oder anderen Termin während der WM weniger wahrnehmen sollen.“

Es war ja durchaus ein Ziel des Deutschen Fußball-Bundes mehr Aufmerksamkeit für den Frauenfußball zu gewinnen. Wurde der sportliche dem medialen Erfolg geopfert?

Natürlich hat der DFB neben dem Ziel Weltmeistertitel auch andere Ziele mit der WM verfolgt, die auch wichtig und legitim waren. Für das Trainerteam und die Mannschaft gab es aber schon zweieinhalb Jahre vorher nur ein Ziel: den Weltmeistertitel.

Welche Rolle haben die vielen Zuschauer, die großen Stadien gespielt?

Es ist natürlich ein Unterschied, ob 70 000 oder 700 Zuschauer im Stadion sind. In diesem Fall war es ein positiver: Die Spielerinnen haben das genossen. Ich habe als Sportpsychologe bei Olympischen Spielen schon viele Drucksituationen erlebt, in denen man gesehen hat: Die Sportler sind paralysiert. Das war bei den Fußballerinnen nicht der Fall.

Nach dem 2:1 zum Auftakt gegen Kanada und dem hart erkämpften 1:0 gegen Nigeria haben Sie trotzdem gesagt, niemand habe sich vorstellen können, dass das Team so schwer ins Turnier starten würde.

In den ersten Spielen hat uns die Leichtigkeit gefehlt. Gegen Frankreich hatten wir zum Abschluss der Vorrunde wieder unseren Rhythmus. Da hatten wir alle das Gefühl: Wir sind wieder drin. Und dann war es ein Spiel später aus.

Wie haben Sie die Diskussion um Kapitänin Birgit Prinz erlebt, die nicht ins Turnier kam und dann von der Bundestrainerin aus der Mannschaft genommen wurde?

Birgit hat mir während der WM zu verstehen gegeben, dass sie über ihre Thematik mit ihrer eigenen langjährigen Psychologin in Frankfurt sprechen wird und nicht mit mir. Das habe ich akzeptiert. Ich glaube nicht, dass das Thema Prinz die Mannschaft negativ beeinflusst hat. In einer Turniersituation hat die Trainerin nicht die Zeit, einer Spielerin eine zweite, dritte oder vierte Chance zu geben.

Wenn Sie jetzt zurückblicken: Was hätte man anders machen müssen?

Vor dem Turnier hätten die Interessen der sportlichen Leitung und der Medien- und Marketingverantwortlichen früher aufeinander abgestimmt werden müssen. So gab es aus meiner Sicht bei den Spielerinnen nicht die richtige Balance.

Hätte die Bundestrainerin während der WM noch daran arbeiten können?

Das ist eine gute Frage. Vielleicht ist das ja auch geschehen – und es wäre sonst noch mehr passiert. Aber wenn so eine Maschinerie erstmal läuft, ist das Ganze wahrscheinlich kaum noch zu stoppen.

Das Gespräch führte Lars Spannagel.

Arno Schimpf, 58, war Olympia-Mentalcoach für den DOSB in Peking 2008 und betreute dort die Hockeyspieler. Bei der WM 2011 war er Teampsychologe der Deutschen.

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