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Sport: Die Bank von Deutschland

Arne Friedrich ist als Abwehrchef der Nationalelf ausgerufen – Perspektive ungewiss

Berlin - Es zählt zu den wenigen heiligen Ritualen im Ablauf der deutschen Fußballnationalmannschaft, dass zu der letzten Pressekonferenz vor einem Länderspiel der Kapitän und/oder ein Meinung machender Spieler auftritt. Selbst der Runderneuerer Jürgen Klinsmann, der so ziemlich jeden Stein umgedreht und nur die wenigsten wieder auf die alte Stelle gelegt hat, hat an diesem Ablauf nichts geändert. Der Tag vor dem Spiel war Michael Ballack und zu Zeiten der Torwartrotation wahlweise Oliver Kahn oder Jens Lehmann vorbehalten. Während der Weltmeisterschaft hatte es zuletzt auch Miroslav Klose in den Rang derer geschafft, die gedankenschwere Worte unters Volk bringen durften. Gestern, einen Tag vor dem Spiel gegen Georgien, war Arne Friedrich vor die Presse getreten.

Wenn man es gut meint, darf die Führung des Nationalteams für sich in Anspruch nehmen, dass ihr damit eine Überraschung gelungen ist. Dass ausgerechnet dem Verteidiger von Hertha BSC diese Ehre zuteil wird, ist ungefähr so, als würde ein ambitionierter Kandidat des Spreekanals demnächst „Wetten, dass?“ moderieren. Offenbar hielten auch die Verantwortlichen des DFB ihre Auswahl für gewagt vermittelbar, weshalb dem Erscheinen Friederichs rasch ein halbwegs offizieller Titel vorausgestellt wurde. „Arne wird morgen unser Abwehrchef sein“, sagte Assistenztrainer Hans-Dieter Flick mit ernster Miene. So, so – Abwehrchef.

Es mag viele Gründe für diese Aufwertung des Berliners geben. Der Kick gegen die Mannschaft aus dem Kaukasus ist von überschaubarer Bedeutung. Ein anderer Grund für die Ernennung des 27-Jährigen zum Abwehrchef liegt in der Unpässlichkeit derer, die noch während der WM die Kommandos in der deutschen Verteidigungslinie gaben: Christoph Metzelder (25 Jahre) und Per Mertesacker (22). Während der Dortmunder verletzt ist, verzichtete Bundestrainer Joachim Löw auf den gerade genesenen Bremer. Mertesacker hatte in der Champions League gegen Barcelona und in der Bundesliga gegen Mönchengladbach starke Leistungen gezeigt, doch jetzt sei ein gutes Aufbautraining in Bremen wichtiger. „Wir wollen ihn nicht verheizen, sondern auf Dauer Freude an ihm haben“, sagte Bundestrainer Löw.

Nun also soll Arne Friedrich die Viererkette führen. „Ich versuche mehr Verantwortung zu übernehmen, meine Aufgabe zu erledigen und der Abwehr Sicherheit zu geben“, sagte Friedrich emotionslos. Der gebürtige Westfale wird das aber nicht auf seiner angestammten Position auf der rechten Außenseite tun, sondern neben dem Mainzer Manuel Friedrich, der ihm als zweiter Innenverteidiger assistiert. Diese Rolle ist für den Berliner nicht ganz so neu, schließlich hat er sie auch schon in den drei Länderspielen seit der Weltmeisterschaft gespielt. Bei dem Turnier hatte der Berliner auf der rechten Außenbahn – nun ja – nicht gerade Bäume ausgerissen. Nicht anders war zu deuten, dass Löw nach der WM Linksverteidiger Philipp Lahm auf Friedrichs eigentliche Position schob. Diese Rochade bezeichnete der Bundestrainer als mehr als nur eine Option. Denn Löw hat für die linke Bahn in Marcell Jansen (Mönchengladbach) eine gute Alternative zu Lahm. Da Jansen gegen Georgien und am Mittwoch in der Slowakei ausfällt, böte sich Arne Friedrichs Vereinskollege Malik Fathi für links an.

Tatsächlich profitiert Arne Friedrich von einer allgemeinen Entwicklung, die noch im Frühjahr so nicht vorauszusehen war. Nach dem 1:4 im März gegen Italien sorgte sich die halbe Nation um die deutsche Abwehr. Mittlerweile funktioniert dieses Gebilde gut, selbst unabhängig von den handelnden Personen. „Wir haben vor und während der WM viel gearbeitet im Abwehrverbund. Jetzt haben wir eine taktische Grundordnung, da weiß jeder, wo und was er zu spielen hat“, sagt Friedrich.

Die Ernennung Arne Friedrichs zum Abwehrchef mag in Anbetracht der Rahmenbedingungen fast schon logisch erscheinen. Spannender ist die Frage, was passiert mit dem Titel und der Position, wenn Mertesacker und Metzelder in die Nationalelf zurückkehren? Es dürfte nicht ganz auszuschließen sein, dass sich der Abwehrchef von heute plötzlich auf der Ersatzbank wiederfindet. Als Chef der Reserve sozusagen.

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