zum Hauptinhalt

Sport: Die bessere Kopie

Kühle Effizienz, grenzenloses Selbstvertrauen: Chelsea zermürbt die Bayern mit deren ureigenen Mitteln

Das Stadion war längst menschenleer, in den Katakomben wurden die letzten Fernsehkabel eingerollt, da feierte Claude Makelele noch einen kleinen persönlichen Erfolg. Der Mittelfeldspieler des FC Chelsea und sein Kollege Robert Huth waren zur Dopingprobe gebeten worden, doch die beiden konnten die Wünsche der Uefa-Mitarbeiter nicht auf Anhieb erfüllen, so ist das manchmal kurz nach dem Sport. Also wurde ihnen auf sehr bayerische Weise geholfen, nicht eben widerwillig ließen sie sich dazu mit reichlich Weißbier ausstatten, mehrmals klopfte jemand an die Tür, um neue Paulaner-Flaschen zu reichen. Irgendwann zeigte der lokale Energiedrink Wirkung, der Franzose stieß einen lauten Jauchzer aus und präsentierte recht zufrieden das letzte Resultat der Nacht.

Das wichtigere Ergebnis hatte schon rund eine Stunde zuvor festgestanden, in Addition von Hin- und Rückspiel zog der Spitzenreiter der englischen Premier League mit 6:5 (4:2 und 2:3) ins Halbfinale der Champions League ein und hinterließ bediente Münchner. „Wir haben bravourös gekämpft und bravourös gespielt“, sagte Karl-Heinz Rummenigge, „man kann der Mannschaft eigentlich gar keinen Vorwurf machen.“ Bayerns Vorstandschef hatte Recht, und wahrscheinlich war eben dies der Grund, warum das Ausscheiden so schwer zu ertragen sein dürfte. Chelsea war nicht mal die bessere Mannschaft, doch im Vergleich zum Gegner zeichnete sie eine kühle Effizienz aus, ein unbeugsamer Glaube an die eigene Stärke, der über die wilde Leidenschaft des tapferen Konkurrenten siegte.

Die ausschlaggebenden Qualitäten des FC Chelsea waren somit exakt jene, mit denen hierzulande seit Jahrzehnten nur ein Verein die Konkurrenz zermürbt: die Bayern selbst. Im Kampf gegen die eigene Blaupause blieb den Münchnern gestern nur eine solche Nebenrolle, wie man sie gut in Leverkusen, Köln oder Schalke kennt. Dies war eine neue Erfahrung für die Münchner, und für manche war es eine sehr bittere.

Bastian Schweinsteiger etwa, wie schon beim Champions-League-Aus vor einem Jahr in Madrid stärkster Vertreter des Münchner Widerstands, hatte Mühe, sich mit Chelseas Abgebrühtheit zu arrangieren: „Ich glaube, die hatten nur zwei richtige Torchancen, oder? Das ist, glaube ich, die effektivste Mannschaft, die ich je gesehen habe.“ Das 1:0 durch Frank Lampard war Chelseas einziger Schuss aufs Tor in der ersten Hälfte, und hätte ihn Lucio nicht wieder unglücklich abgefälscht, wäre er nicht mal aufs Tor gekommen. Geradezu höhnisch klingt die Statistik nach 90 Minuten: 26:7 Torschüsse, 61 Prozent Ballbesitz, 11:2 Ecken, jeweils zu Gunsten der Bayern. Doch nie schien Chelseas Weiterkommen akut gefährdet, unaufgeregt erledigte die Elf von José Mourinho ihre Aufgabe. In der einzigen Phase, in der sie gefährdet schien, kurz nach dem Münchner Ausgleich, benötigte Didier Drogba nur eine Chance, um das Duell zu entscheiden. „Sie haben zu unglücklichen Zeiten zurückgeschlagen“, sagte Rummenigge, „nach dem 2:1 war das Spiel praktisch durch.“ Die zwei späten Tore hatten keine wirkliche Relevanz mehr, immerhin brachten sie ein wenig Prestige.

Ein kleiner Trost, gemessen daran, dass die Engländer ihrem Rivalen auch einen ihrer gewöhnlich verlässlichsten Begleiter abspenstig gemacht hatten. „Wir waren vom Spiel her nicht schlechter“, sagte Bayerns Trainer Felix Magath, „es hat wenig gefehlt, es hat das Glück gefehlt.“ Wie im Hinspiel verdankte Chelsea seine frühe Führung dem Zufall, die Bayern dagegen trafen den Pfosten, einmal wurde ein Kopfball Michael Ballacks erst auf der Linie geklärt. Selbst in ihrer Nachbetrachtung erinnerten die Londoner an so manchen Auftritt des FC Bayern. Scheinbar unbegrenzt war das Selbstvertrauen (Lampard: „Es werden noch drei harte Spiele, bis wir den Cup gewinnen“), und hier tat sich ausgerechnet ein Deutscher hervor. Robert Huth, an dem der FC Bayern nach dessen mäßiger Leistung nur noch geringes Interesse haben dürfte, offenbarte eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit gegenüber der unterlegenen Konkurrenz. „Für uns ist egal, wie die Bayern sich fühlen“, sagte der Nationalspieler sehr bestimmt noch spät in der Nacht. „Solange wir weiter sind, ist es uns recht.“

Daniel Pontzen[München]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false