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Sport: Die Bremer Runde

Der Profifußball steckt voller Rätsel. Ein arg kniffliges gibt wieder einmal Rudi Assauer auf: Wie will einer der ambitioniertesten Vereine in diesem Zirkus mit hochbezahlten Spezialisten die europäische Spitze der Fußballkunst erklimmen, wenn ein in dem Metier noch vollkommen unerfahrener Coach die Verantwortung für den sportlichen Erfolg übernimmt?

Der Profifußball steckt voller Rätsel. Ein arg kniffliges gibt wieder einmal Rudi Assauer auf: Wie will einer der ambitioniertesten Vereine in diesem Zirkus mit hochbezahlten Spezialisten die europäische Spitze der Fußballkunst erklimmen, wenn ein in dem Metier noch vollkommen unerfahrener Coach die Verantwortung für den sportlichen Erfolg übernimmt? In sieben von den kommenden zehn Jahren soll der FC Schalke 04 auf der internationalen Fußballbühne stehen, so will es der ehrgeizige Manager, und ausgerechnet Frank Neubarth hat er sich ausgesucht, die teuren Stars und Diven dorthin zu führen, von denen einige kaum jünger sind als ihr Chef in spe.

Ab Sommer erhält der Ex-Profi (317 Bundesligaspiele für Werder Bremen) den begehrten Job, für das er sich gar "zu Fuß" von Bremen nach Gelsenkirchen begeben würde; bleiben darf er mindestens bis 2004. Die Einigung auf einen Zweijahresvertrag für den Bremer gab Schalke 04 gestern offiziell bekannt. Keine Frage, kaum ein Job in der Branche ist lukrativer als der auf Schalke, aber auch kaum einer stressiger. Für einen Neuling wie Neubarth, zur Zeit Übungsleiter der Amateure des SV Werder, ist das ein "Quantensprung", schrieb eine Bremer Lokalzeitung. Natürlich beeilt sich da der Auserwählte, das Hohelied der Königsblauen anzustimmen: "Schalke ist ein super Verein mit einer tollen Mannschaft, einem traumhaften Stadion und sensationellen Fans. Die Gründe, die Herausforderung anzunehmen, sprechen für sich." Klar, dass man da nicht zaudert.

Welcher Teufel aber mag Rudi Assauer geritten haben, dass er einen 39-Jährigen ohne Erfahrung, ohne Titel als Trainer und ohne Bezug zu Schalke in den Pott holt? Waren die Sinne benebelt vom Duft der Havanna, die er so liebt? Das fragen sich derzeit durchaus auch Leute aus der eigenen Gefolgschaft. Eines steht fest: Assauers Entscheidung ist eine aus dem Bauch heraus, er verlässt sich ganz auf sein Gefühl. Einen "jungen, unverbrauchten, ehrgeizigen Mann, der zu Schalke und unserer Vereinsphilosophie passt", hat er gesucht und nun gefunden, so glaubt er. Andreas Müller, Assauers rechte Hand, liefert die Argumente: "Frank Neubarth ist sehr intelligent, wirkt ruhig und vernünftig. Schon in seiner aktiven Zeit als Spieler hat er strategisch und wie ein Trainer gedacht. Er hat großen Fußball-Sachverstand." Ob das reicht, eine Ansammlung hoch- und vielleicht überbezahlter Profis in die Elite des europäischen Fußballs zu führen?

Immerhin hat sein Gefühl Assauer bei Huub Stevens nicht getrogen. Auch bei dessen Engagement 1996 ging ein Raunen durch das alte Parkstadion, und doch wurde der Holländer der bislang erfolgreichste Schalker Bundesligacoach. Der ist nun unten durch, seine Verhandlungen mit Hertha, seine Dementis, seine schroffe, nicht gerade medienfreundliche Art hat man satt auf Schalke. Stevens sei "verbraucht", heißt es. Ob er bis Sommer bleibt, ist fraglich, weil er die Kontakte zu Hertha verheimlicht hatte. Lügen mag man nicht in Gelsenkirchen, zumindest dann nicht, wenn der FC Schalke belogen wird. Ein ehrlicher Mensch muss deshalb her, ein Typ wie Rudi Völler, Andi Brehme, Matthias Sammer oder Thomas Schaaf. Die haben außerdem auch als Grünschnäbel im Traineramt angefangen und werden nun allseits gefeiert.

Mit Frank Neubarth hat Assauer schon einmal in Schwarze getroffen. Vor 20 Jahren holte er als Werder-Manager den 1,93 großen Stürmer von Concordia Hamburg an die Weser. Neubarth blieb bis heute, schoss in seiner Profizeit 97 Tore in der Bundesliga und etliche im Europapokal und heißt immer noch "Mister Europacup". In der Nationalelf durfte er aber nur einmal ran, genau acht Minuten. Und als Trainer der Dritten Liga ist er nicht sehr erfolgreich. Platz zwölf belegen die Werder-Amateure, die Klub-Oberen haben auf ihre Option auf Verlängerung des Vertrages verzichtet - wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Jugendförderung, im Klartext: ein verzögerter Rauswurf wegen Unfähigkeit. Einige verärgerte Werder-Anhänger behaupteten gar, Neubarth habe Talente vergrault, die Mannschaft stehe nicht hinter ihm. Einen "bitteren Abschied" nannte Mister Europacup das unwürdige Schauspiel. Assauer hat dem Fahrer eines extravaganten BMW-Jeeps diesen nun versüßt.

Ungläubig staunt derweil das Fußballvolk. In Bremen gönnt man Neubarth den grandiosen Karrieresprung, sorgt sich aber um seine Zukunft im Haifischbecken Bundesliga: "Der Frank ist noch keine Persönlichkeit", glaubt ein gewisser "Ronaldo" im Internet, "der wird von Rudi hemmungslos geschubst werden." In der Einschätzung des Verhältnisses von neuem Trainer und Manager auf Schalke sind sich die Fans beider Lager einig. Ein Fan der Königsblauen mag "Stumpen-Rudis" Näschen in Sachen Trainer nicht so ganz vertrauen. Wenn es nach ihm ginge, müsste Christoph Daum die Nase vorn haben. Und "Schalkeglatze" macht einen tiefenpsychologischen Lösungsvorschlag für das Rätsel, warum ein derart ambitionierter Manager eines derart ambitionierten Vereins einen Nobody wie Neubarth holt: "Rudi wird keinen zweiten Promi neben sich dulden."

Joachim Frisch

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