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Sport: Die Dackel beim Windhundrennen

Das Fußballjahr 2002 oder die neue Achtung für Verlierer

Nicht, dass Fußballfans Verlierer besonders gut leiden könnten. Heißt ja schließlich nicht umsonst „No time for losers“ in der Queen-Schmonzette, die gespielt wird, wenn der Pokalsieger im Olympiastadion seine Ehrenrunde dreht. Es muss deshalb 2002 ein außergewöhnliches Fußballjahr gewesen sein, das uns ausgerechnet diejenigen ans Herz legte, die mit Blick auf die Pokalvitrine in den letzten zwölf Monaten wenig gerissen haben.

Dabei hatte das Jahr nicht außergewöhnlich begonnen. Zwar ging die die Kirch- Gruppe pleite, aber Ligapräsident Hackmann verkündete, die Bundesliga sei von der Insolvenz ihres größten Geldgebers gar nicht betroffen. Einen Monat später war sie dann doch betroffen und das Geld derart knapp, dass gar über radikale Gehaltskürzungen für die Profis debattiert wurde. Hände weg von der sauer verdienten Penunze, keiften die Kicker zurück. Und der Tag schien nicht weit, an dem Basti Deisler die S-Bahn besteigt, unverschuldet in Not geraten und das Obdachlosenheft „Stütze“ anpreisend.

Licht ins Dunkel der Rezession brachte einstweilen nur Bayer Leverkusen, das derart postmodern kombinierte, dass auch für die Deutschen in der Mannschaft nach südländischen Vorfahren gefahndet wurde, allen voran für Michael Ballack. Am Ende stand jedoch das grandiose Scheitern für Ballack und Bayer, wieder mal und diesmal dreifach: In der Liga jubelte Dortmund, Schalke brachte nach dem Finale den DFB-Pokal in Bananenform, und in der Champions League war Real Madrid nicht besser, aber cleverer. Manager Reiner Calmund hatte zuvor die Gunst des Fußballgottes herbeigefleht. Wann Atheist werden, wenn nicht jetzt?

Wenig Aufheiterung versprach auch die WM. Die Experten hatten den Deutschen ähnlich gute Chancen eingeräumt wie einem Dackel bei einem Windhundrennen. Gerade das Überstehen der Vorrunde wurde Völlers Equipe zugetraut, und die Skepsis wich auch nach dem Viertelfinale gegen die USA nicht. Franz Beckenbauer keifte giftig „Alle in einen Sack“, um nach dem Endspiel gegen Brasilien überraschend versöhnlich festzustellen: „Wir sind zurück in der Weltspitze.“ Immerhin die Prognose jahrzehntelanger Unschlagbarkeit verkniff er sich diesmal knapp.

Die ewige Unschlagbarkeit könnten allenfalls Beckenbauers Bayern in der Bundesliga schaffen. Doch Freude wird in München auch bei einem Double nicht mehr aufkommen. Ottmar Hitzfeld blickt schon wieder so magenkrank aus der Wäsche wie einst bei Borussia Dortmund. Und wird wohl auch im neuen Jahr seine Mannschaft wieder vor allzu viel Schlendrian warnen, zwei Spieltage vor Schluss und mit 18 Punkten Vorsprung: „Bloß nicht leichtsinnig werden. Es ist noch alles möglich.“ Das denken sich auch die Verantwortlichen bei Hertha BSC und stellen mal wieder ein schlagkraftiges Team zusammen, um endlich Meister zu werden. Die von Manager Dieter Hoeneß in Auftrag gegebene Effizienzstudie hat überraschende Ergebnisse gebracht: „Mehr Tore schießen, auch mal Spiele gewinnen.“ Und es geht gleich gut los, vor der Saison siegt Hertha in zwei Testspielen gegen Kreisligisten aus der Uckermark, der Gewinn des Ligapokals löst ungeahnte Euphorie aus. In den ersten funf Ligaspielen holt Hertha dann nur einen Punkt. Dieter Hoeneß gibt eine Effizienzstudie in Auftrag und verspricht: „Im nächsten Jahr greifen wir an.“ Dann aber so richtig. Cause we are the Champions.

Philipp Köster ist Herausgeber von „11 Freunde“, dem Magazin für Fußballkultur.

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