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Sport: Die Daum-Tragödie: Die Droge Tempo

Dieses Bild wird man in Deutschland nie vergessen. Der Fußballtrainer Christoph Daum veranstaltet eine Pressekonferenz.

Dieses Bild wird man in Deutschland nie vergessen. Der Fußballtrainer Christoph Daum veranstaltet eine Pressekonferenz. Daum gibt bekannt, dass er sein Haar auf Drogenspuren untersuchen lässt, freiwillig, ohne zwingenden Grund. Und er sagt, mit beschwörender Stimme: "Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe." Der Satz wirkte wie ein befreiender Pass in einem verkorksten Spiel. Daum, der Trainer und Taktiker, den Gerüchte und Intrigen bedrängten, hatte wieder einmal blitzschnell von Verteidigung auf Angriff umgeschaltet. Vielleicht, um ein paar Tage Zeit zu gewinnen. Um noch einmal zu spüren, wie es ist, ganz oben zu sein.

Vielleicht aber gab es schon längst zwei Christoph Daums, den öffentlichen Erfolgsmenschen und den privaten Drogenbenutzer, zwei Daums, die nichts voneinander wussten und weitgehend unabhängig existierten, wie Oberwelt und Unterwelt in dem Film "Metropolis". Hat Daum gelogen? Diese Frage ist längst nicht so einfach zu beantworten, wie es scheint. Das Gehirn vollbringt erstaunliche Leistungen, eine der erstaunlichsten heißt Selbstbetrug.

Täter, die sich an ihre Taten nicht erinnern, beim besten Willen nicht: ein Phänomen, das man aus der Kriminologie kennt. Je ungeheuerlicher die Anschuldigung, desto größer die Bereitschaft zur Verdrängung. Es gibt sicher schlimmere Verbrechen, als Kokain zu schnupfen. Für Daum aber bedeutete der Kokain-Vorwurf das Ende seines Lebenstraumes, das Ende von allem.

Hat Christoph Daum gelogen? Er hat gesagt, was in seinen Augen wahr sein musste. "Ich habe ein absolut reines Gewissen": Inzwischen denken wir bei diesem Bild an Uwe Barschel, den christdemokratischen Politiker, an die auffällig ähnliche Szene, in der Barschel der Welt sein falsches Ehrenwort gegeben hat, und zwar ebenso freiwillig wie Daum, im gleichen beschwörenden Ton, mit einem auffällig ähnlichen Gesichtsausdruck. Sind sie womöglich in diesem Sinne ähnliche Typen, Barschel und Daum, beide von inneren Furien in eine zwanghafte Karriere gehetzt, in der es keine Niederlagen geben darf und niemals einen Rückzug?

Wie damals Barschel ist jetzt auch Daum ins Ausland geflohen. Sein Freund Reiner Calmund, der Freund, der ihn entlassen musste, sagt: "Er befindet sich im freien Fall." Am häufigsten aber hört man über Daum den Satz: "Er ist krank." Welche Krankheit ist das wohl, die einen intelligenten Mann wie Daum sehenden Auges in den sicheren Untergang treibt? Ist es Ehrgeiz? Überforderung? Blindheit?

Wir wissen noch nicht, ob Christoph Daum regelmäßig Kokain genommen hat oder nur hin und wieder. Und ganz auszuschließen ist auch das angebliche Komplott nicht, von dem Daum jetzt spricht, ähnlich wie der gedopte Langläufer Dieter Baumann. Letzte, allerletzte Klarheit hat es selbst im Fall Barschel bis heute nicht gegeben. Aber wir wissen, dass Sport, Politik, Kultur und Medien in den letzten Jahren zu einem Gesamtkomplex verschmolzen sind, dem Showbusiness, mit hohem Druck, hohem Tempo und fast ohne Rückzugsräume.

Wer in einem bestimmten Feld besonders gut ist, als Fußballer, als Trainer, der verliert fast sein gesamtes Leben an die Öffentlichkeit. Wer ein außergewöhnliches Talent besitzt, dessen Charakter steht pausenlos auf dem öffentlichen Prüfstand. Einerseits wird die Kontrolle immer perfekter, andererseits wachsen die Versuchungen. Und es sind die Genialen, die Perfektionisten, die den Versuchungen und dem Druck meist als erste zum Opfer fallen. Dann verlieren sie den Kontakt zur Realität. Der wahrscheinlich beste Fußballer, den es je gab, ist dafür ein Beispiel: Diego Maradona.

Es ist zu billig, über Christoph Daum den Stab zu brechen. Wenn es doch schon seit Jahren Drogengerüchte über ihn gab - wieso hat ihm dann der Deutsche Fußball-Bund nach dem Desaster bei der Europameisterschaft in einem Anfall von Panik den Job des Bundestrainers angetragen, ein Angebot, dass er unmöglich ablehnen konnte? Paul Breitner, der Hofnarr des deutschen Fußballs, weil er oft ausspricht, was sonst niemand zu sagen wagt - Paul Breitner also hält den Fall Daum in Wirklichkeit für den Fall des designierten DFB-Chefs Gerhard Mayer-Vorfelder. Am Wochenende ist niemand auf diesen Vorwurf eingegangen.

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