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Anpfiff zur DFB-Presskonferenz.

© dapd

Die deutsche Pressekonferenz: Löw is all we need!

Vorhang zu und alle Fragen offen. Die erste Bundestrainer-Pressekonferenz hinterließ mehr Fragen als sie Antworten geben konnte. Nur eines ist sicher: Löw ist nicht Cristiano Ronaldo und Jerome Boateng hat plötzlich einen Zwilling im Rücken. Der Ticker zum Nachlesen.

13:20 Uhr

Harald Stenger unterbricht dieses Schauspiel mit einem fleischigen Handstreich. "Eine Frage noch", sagt er, sagt auch seine Hand. das hätte er sich besser noch mal überlegen sollen. Denn diese letzte Frage stellt nun ein Mitarbeiter (vermutlich Ressort: "Waschbrettbauch in drei Wochen") der Men's Health. Hier im Wortlaut: "Herr Löw, Cristiano Ronaldo macht jeden Morgen nach dem Aufstehen gefühlte 471 Sit-Ups." Leere Löw-Blick, gnädiges Nicken. es geht aber noch weiter, denn bisher ist das schließlich noch keine Frage. "Wie viel schaffen Sie, Herr Löw, und sind sie neidisch auf das Sixpack?" Man sieht Löw an, dass er jetzt gerne aufstehen, den Raum verlassen würde. Er bleibt aber sitzen, die Lippen spitz. Formt die letzte Bundestrainer-Antwort dieses Tages. "Es wäre mir neu, dass ich irgendwelche Sit-Ups mache." Genuiner Löw-Konter, flach, vertikal. Stilles Gelächter in den Reihen. War's das jetzt, will er noch wissen. Ja, das war's. Löw zieht sich das blaue Sakko zurecht, die Nivea-Mimik, gibt Stenger die Hand. Und lässt einen Raum voller Journalisten zurück, die, obwohl er all ihre Fragen beantwortet hat, noch immer genau so viel wissen wie vorher.

13:18 Uhr

Es hat aber nun den Anschein, als versuchten die Pressemänner die kleine Löwsche Schwäche zu nutzen, wieder eine britische Breitseite: "Haben Sie Angst, Mr. Löw, dass Ihre Mannschaft zu selbstbewusst auftreten könnte?" Löw aber, langsam wieder Herr der Situation lächelt diese Frage einfach aus dem Raum. Gentlemanlike, würden die Engländer sagen. Kennen wir schon, ihre deutschen Kollegen.

Der EM-Kader im Überblick:

13:15 Uhr

Schön ist aber, dass es dann doch immer wieder ein paar Fragen gibt, die ihn aus der Souveränität reißen können. Gestellt werden sie von zwei britischen Kollegen. Es geht um Portugal, um die Niederlage der Deutschen bei der EM 2000. Damals am 20. Juni in Rotterdam. Die Schmach, mit drei Toren von Sergio Conceicao. Sein Gesicht verrutscht ein wenig. was soll das, sagt dieses Gesicht. Nichts hasst dieser Trainer mehr, als über die Vergangenheit zu sprechen. "Das ist so lang her", sagt er dann, die Stimme kontrolliert, "das ist nicht mehr relevant." Klar. Eine solche Frage ist schließlich auch eine Beleidigung für seine Arbeit, die vor allem darauf ausgelegt war, den Rumpelfußball von damals vergessen zu machen. So wie er da heute sitzt, im Nivea-Sakko, ist auch tatsächlich nichts weiter weg, als eine Nationalmannschaft mit Matthäus, Marko Rehmer und Joker Paulo Rink. Das ist dann auch in etwa so, als würde jemand Angela Merkel zum Kabinett Kohl befragen.

13:10 Uhr

Nun beginnt er, leichtes Lächeln um die Lippen, das Löw-Theater, dieses Tauziehen mit den Journalisten, das ihm sichtlich Freude bereitet. Mit Sätzen wie "Jetzt habe ich die erste Hälfte der Frage schon wieder vergessen", oder auch: "Könnten Sie das noch mal wiederholen?" Er lässt die versammelte Presse vor sich tanzen, hat dabei, jederzeit, die Fäden in der Hand. Großartiger Marionettenspieler, dieser Löw. Könnte wohl auch, ganz locker, die Auswahl der Augsburger Puppenkiste jeden tag ein bisschen besser machen. Obwohl die ja noch mal aus einem ganz anderen Holz geschnitzt ist.

13:05 Uhr

Schluck aus der Wasserflasche, plötzlich wieder ein, klar, tiefenentspannter Bundestrainer. "Ich bin zuversichtlich, was unsere Stärke angeht." Dann lehnt er sich zurück, schraubt an der Wasserflasche, wirft ein paar Nivea-Blicke in die Runde. Löwsche Pantomime für Tiefenentspannung und Zuversicht. steht ihm gut. Ohnehin sieht dieser Mann dort auf dem Podium nicht aus wie Anfang 50. Klare Sache: Wären alle EM-Fahrer in ähnlicher Form, Deutschland wäre der Titel kaum zu nehmen.

13:00 Uhr

Was aber vor allem auffällt, je emotionaler Löw wird, was man ihm ja nie ansieht, weil er gelernt hat, immer das gleiche Bundestrainer-Gesicht, die öffentliche Löw-Maske zu tragen, desto mehr driftet das Schwäbische in seiner Stimme in einen fast sächsischen Singsang. Besonders gut zu hören jetzt, da Löw gezwungen wird, in den Kellerregionen seiner Seele zu kramen: "Jerome Boateng", sagt er nun, kurze Pause, "hat eine Bringschuld." Ein kurzer Satz, der aber viel verrät über das Innenleben des Bundestrainers, der ja normal vermeidet, Spieler explizit zu kritisieren. Aber an der Gina-Lisa-Nummer vom Wochenende kommt auch er heute nicht vorbei. Und kündigt, plötzlich offensiv, eine überraschende Lösung für die rechte Abwehrseite an. Das aber auch nur in der typischen Andeutungsrhetorik, betont vage: "Auch Lars Bender gefällt mir auf rechts immer besser." Wer Löw jedoch kennt, weiß, dass Jerome Boateng das als klare Warnung verstehen sollte. Er sollte sich von der Komik in dessen Stimme nicht täuschen lassen.

12:55 Uhr

Ist das schon Schleichwerbung? Löw sitzt dort immerhin auf dem Podium mit blauem Sakko und, darunter, weißem T-Shirt. Ganz klare Nivea-Farben. Oder aber Löw kommt direkt von einer Manöver-Kritik bei der Marine, um sich neue Anreize zu holen, wie er das ja schon häufig gemacht hat. Dann nehmen wir natürlich alles zurück und essen erstmal ein Hanuta, zu einer leckeren Tasse Nescafé.

12:53 Uhr

Nahtloser Übergang. Auftritt Bundestrainer, der das Gefühl nicht los wird, dass er und seine Mannschaft in dieser Woche noch viel getan haben. Sagt er, statt einer Begrüßung. Erinnert ein wenig an Augenthalers kürzeste Pressekonferenz aller Zeiten. Und wir werden das Gefühl nicht los, dass wir das alles schon mal gesehen haben.

Philipp Lahm und die Untiefen des Schulenglischs

12:47 Uhr

Erste Schwäche, erstes Eingeständnis bei Lahm: "Es gehört auch eine Menge Glück dazu, ein solches Turnier zu gewinnen", sagt er. Und: "Man kann nicht immer Erster werden." Wobei sich hier die Frage stellt, ob es bei Lahm jetzt nicht viel eher darum geht, nicht immer Zweiter zu werden. Oder ist das schon die umgekehrte Psychologie, die hier greift? das von Löw injizierte positive Denke, das sich nur auf den ersten Blick wie Pessimismus anhört. Wenn ja, haben die Mentaltrainer des DFB ganze Arbeit geleistet. Und Deutschland wird Europameister, bestimmt. Oder auch nicht. Denn: man kann ja nicht immer Erster werden.

12:45 Uhr

Nun, um die Routine aufzubrechen, muss Lahm eine Frage auf Englisch beantworten. Bekommt aber Unterstützung von Stenger, der schon Matthäus durch die Untiefen des Schulenglisch gecoacht hat. Nur leider vergisst er dabei, auf halbem Wege quasi, die eigentlich Frage. Die kürzeste "Still Post" aller Zeiten. Antwort Lahm: "I hope we have a little bit lucky."

Die WM-Stadien, von oben betrachtet:

12:40 Uhr

Die Journalisten aber nehmen darauf keine Rücksicht, überspringen die Abtastphase der wohlfeilen Fragen und wollen direkt wissen: Rechts oder Links? Diese ewige Lahm-Frage. Der deutsche Kapitän überlegt kurz, folgt dann der internen Sprachregelung: "Ich werde dort spielen, wo ich der Mannschaft am ehesten helfen kann." Heißt in der Übersetzung: Lahm spielt am Samstag Rechts und Links, und, als Mertesacker-Ersatz, auch in der Innenverteidigung.

12:35 Uhr

Jetzt aber Lahm, das Bundeseinlaufkind, packt gleich die großen Weisheiten aus: "Wir müssen vom ersten Moment an voll da sein." Klingt kapitänig, klingt aber auch so, als hätte er versehentlich den Spickzettel von Lukas Podolski eingesteckt.

12:30 Uhr

Philipp Lahm sitzt bereit, sagt Daniela Fuss. Kann also losgehen. Erst einmal spricht aber, natürlich, ganz klar, alles wie immer, Harald Stenger. Will noch sicher gehen, dass "die Schussposition auf den Philipp" gut ist. Was auch immer das heißen soll. Wirft aber in jedem Fall die Frage auf, ob Stenger, damals 1963, auch schon Pressesprecher war. Für Kennedy. In Dallas.

12:20 Uhr

Zum lustigen Zeitvertreib gibt es jetzt noch mal das Best-Of der gestrigen Pressekonferenz. Per Mertesacker lächelnd vor einem Sponsoren-Wagen, Mertesacker ganz ernst im investigativen Gewitter der Journalisten. Bleibt mertesackermäßig ruhig. Dann aber, zum Abschluss, Torhüter Manuel Neuer mit der Analyse: "Alle Innenverteidiger können auch Außenverteidiger spielen." Was ja mal tatsächlich eine Neuigkeit ist, vor allem für Mertesacker, Innenverteidiger, der in der derzeitigen Form schon froh wäre, wenn er auch Innenverteidiger spielen könnte.

12:15 Uhr

Noch nicht viel los. Aber immerhin ist Daniela Fuss schon mal da. Die Sport1-Allzweckwaffe für optisch ansprechende Moderationen. Souverän wie immer jazzt sie die kommende Pressekonferenz gleich mal zum Jahrhundertevent hoch: "Wir schalten sofort rüber, sobald dort Bewegung ist." Klingt nach Tele-Sport, nach 80er-Jahre Bodys auf bunten Matten, Extremhampelmann und Deuserband-Limbo zur Musik von Eric Prydz. Fit for Fun-TV. Ohne Fun. Und wahrscheinlich auch ohne fit. Aber immerhin mit: Daniela Fuss.

12:00 Uhr

Erste Gedanken zum immergleichen Procedere der Pressekonferenzen. Es gibt ja kaum ein Mikrodrama, das öfter aufgeführt wurde als dieses. Ein Evergreen, jedes mal leicht verändert, aber am Ende doch irgendwie vor allem eines: Verdammt vorhersehbar. Auch wenn die Protagonisten in diesem Frage-Antwort-Spiel wechseln, der Inhalt jedoch bleibt übertragbar. Eine Floskeloper nach dem strengen Drehbuch der Rhetorik-Trainer. Die größte Attraktion ist hier, seit Jahren schon, deshalb auch: Harald Stenger. Der Steffen Seibert des DFB, der dort so unerschütterlich hinter den Sponsoren-Logos thront, als ginge ihn das alles nichts an. Als sei er nur zufällig vorbei gekommen.

Das ist nicht unbedingt spannend, aber es ist in jedem Fall unglaublich ehrlich. Mit Stenger ist noch ein Stück Fußball von früher übrig geblieben. Ein bisschen verbaler Rumpelfußball. Unvorstellbar deshalb auch, dass sich Stenger abends vor dem zu Bett gehen noch mit Paraffin-Öl einreibt. Wenn Löw Nivea ist, dann ist Harald Stenger Echt Kölnisch Wasser, aufgetragen mit Sandpapier. Was für echte Männer. Wie Baumstämme ziehen im Deutschen Sportfernsehen, gleich geht es los. Ohne Baumstämme. Dafür mit viel Sport und noch mehr Fernsehen.

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