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Sport: Die einfachen Sieger

Chinas Behindertensportler deklassieren die Konkurrenz – obwohl sie mit primitiven Mitteln trainieren

Im Olympiastadion bedankt sich Hy Zhang auf ihre Weise. Gerade ist die 27-jährige Chinesin bei den Paralympics 3,67 m weit gesprungen, das bedeutet Weltrekord. Und Gold. Das Publikum klatscht begeistert, und Hy Zhang, die nur noch ein Bein besitzt, schlägt zum Dank einen Salto rückwärts. Noch mehr Applaus. Die Berlinerin Christine Wolf hat den alten Weltrekord von 3,50 m auch übertroffen, aber nur um drei Zentimeter. Silber. Und deshalb erklingt bei der Siegerehrung wieder die chinesische Nationalhymne. Diese Musik ist den Zuschauern inzwischen vertraut. Allein 25 Goldmedaillen haben chinesische Sportler nach fünf Wettkampftagen erreicht, 70 Medaillen waren es insgesamt. Damit führen die Chinesen in der Nationenwertung klar vor den Briten, die bisher 43 Medaillen bilanzieren. Das deutsche Team stellt mit 210 Athleten acht Sportler mehr als China, es hatte nach fünf Wettkampftagen neun Goldmedaillen gewonnen. „Die Chinesen sind klar enteilt“, sagt Karl Quade, Chef de Mission der deutschen Mannschaft.

Der wichtigste Grund für diese Überlegenheit ist eine Zahl: 1,2 Milliarden. So viele Einwohner hat China, und dementsprechend groß ist das Reservoir von potenziellen Sportlern. Rund zehn Prozent der Bevölkerung eines Landes sind behindert, das haben Sozialstatistiker ermittelt. Offiziell gibt es in China aber nur 60 Millionen behinderte Menschen. In der Bundesrepublik leben sechs Millionen Menschen mit Handicap, der Deutsche Behindertensportverband zählt 350 000 Mitglieder. Leistungssport betreiben etwa 1000.

Aber die Zahlen allein dokumentieren nicht den Unterschied zwischen China und Ländern wie Deutschland oder der Schweiz. Die meisten der oberschenkelamputierten Weitspringerinnen aus Westeuropa laufen mit Prothesen, die über computergesteuerte Gelenke und Federn verfügen. Hy Zhang dagegen legt vor dem Start ihre Krücke zur Seite – und hüpft einbeinig an. Ihr verbliebener Stumpf ist zu kurz für eine Prothese. Aber selbst wenn es anders wäre, hätte die 27-Jährige vermutlich gar kein Geld für eine High-Tech-Prothese. Mitunter fehlt chinesischen Sportlern sogar das Geld für Laufschuhe.

Dieses Manko gleichen die Chinesen mit ausgefeilten Trainingsmethoden aus. Teilweise stammen diese Erkenntnisse, im Zuge des Traineraustauschs, sogar aus Deutschland. Und die Erfolge der Chinesen beweisen auch, dass moderne Technik allein nicht Medaillen bringt. Bei den Chinesen ist der Konkurrenzkampf sehr groß, das ist ein weiteres Geheimnis des Erfolgs. „In China wird sehr hart trainiert und zentralistisch gesichtet“, sagt Karl Quade. Wer sich Schwächen leistet, hat verloren. „Hinter jeder Spitzensportlerin aus China“, sagt Quade, „stehen zehn andere, die genauso gute Leistungen bringen“.

Der chinesische Verband pumpt zwar Millionen Dollar in den Behindertensport, schließlich finden die Paralympics 2008 in Peking statt, aber es sind einfach zu viele Athleten, die optimal unterstützt werden müssten.

Aber ein paar Behindertensportler gelten in China durchaus als Stars. Paralympicssieger wie Hy Zhang etwa. Größere Popularität besitzt Wang Xiaofu, ein Schwimmer, der nach einem Stromschlag einen Arm verlor. Wang Xiaofu glänzt als Behinderter mit grandiosen Leistungen. Das chinesische Fernsehen hat ihn deshalb gerade ausgezeichnet – als „herausragendsten behinderten Sportler des Jahres“.

Annette Kögel[Athen]

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