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Freud und Leid. Die Irin Michaela Walsh (links) machte nach ihrem Sieg im Boxen über die Deutsche Ornella Wahner einen großen Luftsprung. Insgesamt gibt es bei den diesjährigen Europaspielen 200 Wettkämpfe in 15 Sportarten.

© Rickett/dpa

Die Europaspiele von Minsk: Die Mär vom Miteinander

Die Europaspiele in Weißrussland sollen Werbung für das autoritär geführte Land machen - die Zuschauer-Tribünen sind halbleer.

Minsk zeigt sich in Feierlaune. Auf dem Gelände rund um den Sportpalast tummeln sich am späten Abend noch zahlreiche Menschen. Von der Bühne her schallt etwas zu laute Musik über den Platz, und diejenigen, die den durch die Kontrollen als Sicherheitszone ausgewiesenen Bereich verlassen, flanieren am Wasser entlang. Wo seit mehr als 50 Jahren die Wintersportart Eishockey im Mittelpunkt steht, herrscht während der European Games südländisches Flair.

Über den Köpfen der Besucher glitzern Lichterketten wie zur Weihnachtszeit. Auch die Nationalfahnen an den breiten Boulevards, die die weißrussische Hauptstadt auszeichnen, sind aus schillerndem Material. Aus den Schaufenstern der riesigen Kaufhäuser heraus grüßt Lesik, das Füchschen, das dem Multisportevent als Maskottchen dient, mal als Bogenschütze, mal als Judoka. Auch auf Plakaten, Bussen, Kekspackungen und Stadtplänen ist der quirlige und vielseitige Kerl zu finden.

Die Volunteers in ihren bunten Shirts warten grüppchenweise scheinbar an jeder Ecke auf jemanden, der sie etwas fragt. Diejenigen, die einfach nur vorbeischlendern, werden mit einem freundlichen „Dobryj Den“ begrüßt und bekommen zum Abklatschen die gepolsterten Handschuhe hingehalten, die als Wegweiser dienen. Mit ihren mangelnden Englischkenntnissen können die Studenten bei Bedarf oft nicht helfen. Diejenigen, die die Sprache besser beherrschen, Marijana etwa, die im Dinamo-Stadion verpflichtet ist, dienen auswärtigen Gästen wie Journalisten als Dolmetscher. Wenige wissen von diesem Service.

Die Organisatoren der Spiele, das wird deutlich, haben die Herausforderung, „Klein-Olympia“ anzubieten, voller Eifer angenommen. Die beeindruckenden Arenen wurden zwar nicht neu gebaut, präsentieren sich aber bestens in Schuss. Ein Shuttlesystem mit eigenen Fahrspuren sorgt dafür, dass die Athleten die Sportstätten schnell und problemlos erreichen. Ein anspruchsvolles Musik- und Tanzprogramm gibt es zudem, schließlich ist der olympische Gedanke laut der Organisatoren nicht auf den Sport, sondern das Miteinander der Kulturen beschränkt.

Lukaschenkos PR-Rede zur Eröffnung

Dass diese Werte in einem autoritär geführten Land gelebt werden sollen, ist löblich. Doch die Frage ist, wie nachhaltig das ist. Die Europaspiele sollen für das Land werben, das weder für Touristen noch in der internationalen Wirtschaft eine größere Rolle spielt. Präsident Alexander Lukaschenko hatte bei der Eröffnungsfeier am Freitagabend das Podium betreten und wollte gar nicht mehr aufhören mit der PR-Rede für das Land, das in Restaurants den Ort als Sehenswürdigkeit anpreist, in dem noch die Todesstrafe ausgeführt wird.

Obwohl es vonseiten der Sportler laut der deutschen Delegationschefin Uschi Schmitz keinerlei Grund zur Kritik gibt und bis auf die verspätete Ankunft der Sportgeräte der Bogenschützen in organisatorischer Hinsicht alles rundläuft, scheint die Imagekampagne nicht aufzugehen. Vieles wirkt überdimensioniert. Halbleere Tribünen zeugen davon, dass weniger Fremde als erwartet eine Reise in das größte Binnenland Europas gebucht haben und die Wettkämpfe auch die Einheimischen eher kalt lassen.

Stimmung kommt nur bei eigenen Leuten auf

Allein wenn die eigenen Athleten nach Medaillen greifen, kommt kurz Stimmung auf. Tischtennisstar Vladimir Samsonov etwa, der im Duell der Altmeister im Viertelfinale an Rekord-Europameister Timo Boll scheiterte, wurde auch nach der Niederlage noch mit Standing Ovations gehuldigt, und bei Zweikampfsportarten wie Boxen, Judo oder dem im Westen wenig bekannten Sambo tobt der Bär um Matte oder Ring.

„Ich weiß gar nicht, wer Samsonov ist“, verrät Marijana. Sie hat sich allein wegen der Möglichkeit, mit Menschen aus anderen Ländern in Kontakt zu kommen, bei den Spielen engagiert. Im Pressezentrum möchte ein Fernsehteam gerne wissen, ob die Medienschaffenden zufrieden sind. Wer nicht in höchstes Lob ausbricht, muss sehen, wie sich auf dem Gesicht der Fragenden Enttäuschung abzeichnet.

Zufällige Begegnungen mit der Bevölkerung weisen darauf hin, dass diese nicht unbedingt mit Begeisterung in die Rolle der Gastgeber geschlüpft sind. Doch die Reserviertheit gegenüber denen, die gekommen sind, verschwindet, sobald man miteinander spricht. Dann wundern sich viele, dass jemand für die Europaspiele den weiten Weg nach Minsk gemacht hat.

Katja Sturm

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