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Ausnahme Amerika. In den USA ist Frauenfußball populär.

© AFP

Die Frauen-WM im Ausland: Die größte Nebensache der Welt

In Deutschland ist die WM ein sportliches und mediales Großereignis. Anderswo in der Welt hält sich das Interesse hingegen in überschaubaren Grenzen.

Wenn die deutschen Frauen bei der WM im eigenen Land spielen, ist ihnen die Aufmerksamkeit von Millionen Fußballfans sicher. Doch über die Grenzen hinaus kämpft der Sport immer noch gegen hierzulande längst überwunden geglaubte Vorurteile. Ein Überblick:

FRANKREICH: Ein Vergleich sagt schon alles über die Wahrnehmung der Frauenfußball-WM in Frankreich: 3,21 Millionen Fernsehzuschauer sahen in Deutschland das Auftaktspiel der „Bleues“ gegen Nigeria – in Frankreich dürften es nach Erfahrungswerten gerade mal ein Zehntel davon gewesen sein. Genaue Zahlen will Eurosport, das im Nachbarland ein Bezahlsender ist und das gesamte Turnier überträgt, auch auf Nachfrage nicht mitteilen.

Auch in der Presse findet das Turnier kaum ein Echo. Nur ein paar Zeilen widmeten große Tageszeitungen wie „Le Figaro“ und „Libération“ dem Auftaktsieg der Französinnen. Etwas mehr ließ da schon der 4:0-Sieg gegen Kanada vergangenen Donnerstag aufhorchen, mit dem sich die Französinnen ja erstmals für ein WM-Viertelfinale qualifizierten. Den schweren Stand des Frauenfußballs in Frankreich erklärt Yoann Hautbois, der WM-Reporter der Sportzeitung „L’Équipe“ in Deutschland, am Telefon mit einer ganzen Reihe von Faktoren: „Es gibt noch die ganzen Klischees über Homosexualität, tätowierte Mannsweiber und unansehnliche Spiele. Wir sind ein romanisch geprägtes Macho-Land.“

Gut möglich aber, dass sich die Dinge nun zum Guten wenden. Mit dem Champions-League-Sieg von Olympique Lyon gegen Turbine Potsdam im Mai fand der Frauenfußball erstmals größere öffentliche Aufmerksamkeit in Frankreich. Von der WM berichteten bisher nur vier französische Journalisten. Für das Spiel um Gruppenplatz eins gegen Deutschland am Dienstag haben sich aber nun viele Kollegen zusätzlich akkreditiert, weiß Yoann Hautbois. Und der frei empfangbare TV-Sender Direct 8, der erst ab den Viertelfinals live übertragen wollte, zeigt nun auch bereits das Spiel gegen Deutschland. Zwar nur zeitversetzt, aber immerhin. Matthias Sander

ENGLAND: Die Aufmerksamkeit für die Frauen-WM ist in England nicht besonders groß, aber Vorurteile gegen den Sport? „Nein“, kommt die klare Antwort aus der Sportredaktion der „Times“. „Wir haben eine Reporterin in Berlin und berichten darüber, wenn auch nicht jeden Tag.“ Mitbekommen haben die Briten schon, dass die Frauen Fußball spielen, „und besser als manche Männerteams“, wie die „Daily Mail“ begeistert vom Eröffnungsspiel berichtete. „Vor die Wahl gestellt, Silvia Neids deutsche Damen oder Fabio Capellos England anzuschauen, ist die Wahl nicht mehr so eindeutig, wie sie einmal war“, berichtete der Reporter. Dann stellte die Zeitung ihre Berichterstattung über die WM mehr oder weniger ein. Der „Guardian“ mit seinem feministischen Einschlag widmet der WM in Deutschland die meiste Aufmerksamkeit.

Sport lebt von Promis und Vorbildern und in England spielt Hope Powell diese Rolle. Die Nationaltrainerin ist seit 15 Jahren Englands führende Fußballerin, die einzige Frau mit allen Trainerlizenzen und führt wie keine andere die Arbeit von Nettie Honeyball fort, der streithaften Feministin, die 1894 den „British Ladies Football Club“ begründete, um zu beweisen, „dass Frauen nicht die nutzlosen Schmuckfiguren sind, als die sie von Männern hingestellt werden“. Hope Powell steht in diesem Jahr auf der „Pride Power Liste“ der 100 einflussreichsten Homosexuellen Großbritanniens bei den Frauen an der ersten Stelle.

„Gott sei Dank ist Frauenfußball nicht mehr tabu. Er ist in unserer Kultur nicht wirklich verwurzelt, aber es ist nun ein anerkannter Sport, es gibt eine Frauenweltmeisterschaft, eine Champions Leage und bald werden wir in England die Superleague für Frauen haben“ resümierte Hope Powell vor der Abreise nach Berlin die Situation. Die „Women’s Super League“ (WSL) ist die Krönung der Bemühungen des britischen Fußballbundes FA, dem Frauenfußball eine Basis in Großbritannien zu verschaffen. Acht semi-professionelle Teams werden in den Sommermonaten spielen, wenn die Männer Urlaub machen. Klangvolle Klubnamen wie Arsenal, Chelsea, Everton und Liverpool sind dabei. Matthias Thibaut

AFRIKA: Fußball ist im patriarchalisch geprägten Afrika eine eindeutige Männerdomäne - und Teil des hier besonders stark zelebrierten Männlichkeitskults. So graust es den meisten südafrikanischen Ehefrauen vor der Fußballsaison. Viele werden zu Fußballwitwen, während ihre Männer regelmäßig in die Shebeens strömen, den illegalen Township-Kneipen, um dort die Spiele der lokalen und britischen Premier League zu verfolgen. Oft prahlen Afrikas junge Kicker in den Medien mit ihrem extravaganten Lebensstil - und ihren vielen Affären.

Kein Wunder, dass Frauenfußball in Afrika weithin verpönt ist - und die Frauenfußball-WM im Land des Ausrichters der Fußball-WM 2010 allenfalls ganz am Rande wahrgenommen wird. Aber auch im übrigen Kontinent ist das Interesse an der Frauenfußball-WM ausgesprochen gering – trotz der Teilnahme von Teams aus Nigeria und Äquatorial-Guinea. Viele Eltern sind im traditionellen Afrika der Meinung, dass Frauenfußball nichts für Mädchen ist – und verbieten ihren Töchtern deshalb nicht selten ausdrücklich eine aktive Ausübung des Sports.

Sowohl in den Fernsehnachrichten wie in den größeren Tageszeitungen des Landes sucht man derzeit fast durchweg vergeblich nach Berichten über die WM in Deutschland. Allein die Johannesburger „Times“, die mit bis zu acht Seiten pro Tag einen besonders umfangreichen Sportteil führt, druckte letzte Woche gelegentlich kurze Agenturberichte zu dem Ereignis – und wunderte sich ausdrücklich über das hohe Interesse der Deutschen. Für viele Südafrikaner ist es einfach unbegreiflich, dass Spiele der Frauenfußball-WM in Deutschland höhere Einschaltquoten als die Rennen von Formel-1-Star Sebastian Vettel erzielen können. Wolfgang Drechsler

USA: In Amerika sind die Frauen im Fußball die größeren Helden als die Männer. Sie haben zwei Weltmeistertitel und drei olympische Goldmedaillen gewonnen. Die Männer verpassten bei den WM’s oft die Qualifikation oder schieden in der Vorrunde aus; nur einmal, 1930, kamen sie über das Achtelfinale hinaus. Die Supermacht ist internationalen Erfolg auf den meisten Gebieten gewohnt. Im Fußball verbindet der sich mit dem Frauenteam. Hollywood hat ihm mit dem Film „Dare to dream“ 2005 ein Denkmal gesetzt.

In der Werbewirtschaft und in den Medien kann der Sport zwar nicht mit Football, Baseball und Basketball mithalten. Doch unter Mädchen ist Fußball die populärste Sportart. Auch die Töchter der Obamas, Malia (13) und Sasha (10), spielen Fußball. Die Massenverbreitung spiegelt sich auch in der Sprache wider. Eine Mutter, die ihre Kinder zu verschiedenen Freizeitbeschäftigungen fährt, nennt man eine „Soccer Mom“.

Vor der WM 2011 zählten amerikanische Medien die US-Mannschaft zu den Favoriten – knapp hinter Deutschland, aber vor Brasilien und Schweden. Deutschland habe Heimvorteil, und auch den multikulturellen Hintergrund der deutschen Mannschaft werteten die Amerikaner als Stärke. Nach den ersten beiden Spielen werden die USA selbstbewusster. Deutschland tat sich schwer gegen Kanada und Nigeria. Die USA „überrollten“ Kolumbien, wie die „Washington Post“ schrieb. Einziges Manko seien, wie schon gegen Nordkorea, die vielen vergebenen Torchancen. Beim Spiel in Sinsheim entdeckten die USA einen weiteren Trumpf: Die in Deutschland stationierten US-Soldaten kommen in Massen – und feierten die Tore mit dem Springsteen-Hit „Born in the USA“. Christoph von Marschall

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