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Im Wasser zu Hause. Margit Bohnhoff setzt sich oft über Verbote hinweg. Beim Schwimmen fühlt sich die 48-Jährige frei. Foto: Uwe Steinert

© Uwe Steinert

Sport: Die Freischwimmerin

In unserer neuen Serie stellen wir Sportler mit Lust auf Abenteuer vor – heute zum Start Margit Bohnhoff. Die Berlinerin hasst Beschränkungen. Sie schwimmt aufs Meer hinaus, durch den Ärmelkanal oder bis nach Marokko

Sport ist immer ein Abenteuer, insbesondere wenn man das Wagnis sucht. In unserer Serie stellen wir Athleten von nebenan vor, die nicht nach Titeln streben, sondern Grenzen austesten wollen. Heute Teil eins: Margit Bohnhoff, eine Schwimmerin aus Berlin, die Meere durchquert.

Lass uns an den See fahren, sagen die einen und meinen damit: In der Sonne liegen, ein Eis essen, vielleicht den großen Zeh ins Wasser tauchen. Lass uns an den See fahren, sagt Margit Bohnhoff und meint: Dreimal um den See herumjoggen, einmal den gesamten See durchschwimmen und dann erst wohlfühlen.

Manche kommen da einfach nicht mit, sagt Margit Bohnhoff und sieht ein bisschen überrascht aus.

Margit Bohnhoff, 48 Jahre alt, hauptberuflich Verwaltungsfachangestellte beim Spandauer Sozialamt, nebenberuflich Extremschwimmerin, ist durch Seen von A wie Ammersee bis Z wie Zürichsee geschwommen, gereicht hat ihr das nicht. „See ist Genuss, aber Meer ist Grenzüberschreitung“, sagt sie und durchquerte deshalb 2007 den Ärmelkanal und 2010 die Straße von Gibraltar. Zu Trainingszwecken schwamm sie davor jede Woche 35 Kilometer, so weit laufen die meisten Deutschen nicht einmal binnen eines Monats. „Einfach herumsitzen ist nicht mein Ding“, sagt Bohnhoff, von Schwimmerkreuz keine Spur.

Jetzt sitzt die zierliche Frau doch einmal und isst Joghurt-Eis im „Florida“ in Berlin-Spandau. Hier ist Bohnhoff zu Hause, hier kennt man sie, sogar ein Tunnel unterhalb der Havel wurde nach ihr benannt. Doch es kümmert Bohnhoff wenig, sie treibt ihren Sport nicht, um sich hervorzutun oder mit anderen zu messen, sondern aus einem einzigen Grund: „Im Wasser bin ich mein eigener Herr.“

Bevor sie im vergangenen Jahr im spanischen Tarifa ins Wasser stieg, hat sie sich einen Moment lang allein auf einen Felsen gesetzt und ist die wichtigen Fragen noch einmal durchgegangen: Sitzt die Kappe gut? Scheuert der Badeanzug auch nicht? Und: Was mache ich hier bloß? Damals hat sie sich eine ähnliche Antwort gegeben, nämlich dass man sich im Leben ständig an Regeln und im Schwimmbad am Beckenrand stößt und nur im Meer wirklich frei ist, zumindest diese 21 Kilometer bis zum anderen Ufer, bis nach Marokko. Und dann trug sie Hirschtalg auf, damit der Badeanzug nicht scheuert, ein altes Hausmittel, das ihr die Mutter früher bei Blasen gegeben hatte, und kraulte los. Es kamen Grindwale, Bohnhoff schwamm weiter, es kamen Bauchschmerzen und sie schwamm weiter, und auch als die Erschöpfung kam, schwamm sie weiter, nur dass sie sich nun zur Ablenkung still Japanisch-Vokabeln aufsagte, bis sie die Felsen von Marokko sah. Und da hatte sie nebenbei mit einer Schwimmzeit von 4 Stunden und 33 Minuten einen neuen Frauenrekord aufgestellt.

Bohnhoff hat spät mit dem Schwimmen angefangen und nie einen Trainer gehabt. Alles, was sie weiß, hat sie aus Büchern oder eigener Erfahrung gelernt. Wenn man sie nach ihrer Motivation fragt und sie dann von den Regeln spricht, an denen sie sich im Alltag stört, hat man den Eindruck, dass es in ihrem Leben vielleicht besonders viele gab, vor allem Verbote. Kein Abitur, sagte der Vater – und Bohnhoff machte eine Ausbildung. Keine Aktivitäten ohne mich, sagte der Ehemann – und Bohnhoff arbeitete und bekam eine Tochter, aber als diese gerade den Freischwimmer gemacht hatte, verließ Margit Bohnhoff ihren Mann. Damals war sie 29 Jahre alt, und seitdem schwimmt sie, anfangs in der Halle, dann durch den Straussee und danach durch alle anderen Seen, die ihr unterkamen. Jemand mit Hang zum Pathos würde sagen: Ich habe mich freigeschwommen. Margit Bohnhoff sagt: „In meinem Leben ist am 31. Dezember Abschwimmen und am 1. Januar Anschwimmen, zur Not mit einer Axt.“ Sie lacht dabei.

Inzwischen hat sie auch den richtigen Mann an ihrer Seite. Triathlet ist er und schrieb sie an, um zu erfahren, wie man lerne, diese langen Strecken zu schwimmen. Bohnhoff nahm ihn mit in den Sacrower See, und weil er damals noch nicht schnell genug war, zog sie konzentrische Kreise um ihn. Seitdem sind sie zusammen, und wie eng ihre Verbindung ist, merkt man daran, dass sie ständig in der Wir-Form spricht. Es ist kein majestätischer, sondern ein sportlicher Plural; selbst auf dem Weg nach Gibraltar saß der Freund im Beiboot, zählte Bohnhoffs Schlagfrequenz, meist 70–72 Kraulstöße pro Minute, und ließ ihr alle 20 Minuten ein zuckerhaltiges Gel an einem Faden und Wasser in einem Korb hinunter.

Bevor Bohnhoff überhaupt starten kann zu solchen Überquerungen, muss sie hart trainieren. Dieser Tage steht sie morgens um 4 Uhr 30 auf, um sechs ist sie im Schwimmbecken am Olympiastadion, schwimmt dort zwei Stunden und geht danach zur Arbeit. Wenn sie um fünf nach Hause kommt, trinkt sie mit ihrem Lebensgefährten schnell einen Kaffee und sie überlegen gemeinsam: Lieber joggen oder Rad fahren in den nächsten Stunden? Die nötige Disziplin dafür habe sie in der Zeit als alleinerziehende Mutter gelernt, sagt Bohnhoff. Wer ganz alleine putze, einkaufe und ein Kind versorge, dazu arbeiten gehe, sich um Kindergarten, später die Schule kümmere und Elternabende besuche, der lerne, stark zu sein. Manchmal hat Bohnhoff in diesen Jahren aber auch etwas für sich tun müssen. Dann packte sie der Tochter Puzzle und Malbuch in den Rucksack, setzte sie im Schwimmbad auf die Steine und stieg selbst ins Wasser. Oder gab ihr eine Uhr in die Hand und sagte: „Wenn der Zeiger einmal herumgelaufen ist, bin ich wieder da“, und ging joggen.

Heute ist die Tochter 22 Jahre alt und und war die Erste, deren Nummer Margit Bohnhoff wählte, nachdem sie in Marokko aus dem Wasser gestiegen war. Die Strecke sei hart gewesen, sagt Bohnhoff, härter als der Ärmelkanal. „Klein und kabbelig“ seien die Wellen gewesen, hätten sie „hin- und hergeschubst“, nie habe sie gewusst, was sie als Nächstes erwarte.

Mit diesem Satz könnte man auch beschreiben, wie das Leben manchmal mit den Menschen umspringt. Doch kann man vom Meer auch fürs Leben lernen?

Ja, sagt Bohnhoff und nickt mehrmals. Belastbarer sei sie geworden und insgesamt ruhiger, vor allem habe sie gelernt, sich zu beschränken. Im Juni dieses Jahres zum Beispiel sei ihr alles zu viel gewesen, deshalb habe sie für den Juli alle Verabredungen abgesagt, ganz konsequent. Wenn ihr doch mal etwas über den Kopf wachse, ziehe sie ihre Schuhe an und gehe laufen, und wenn sie zurückkomme, schreibe sie auf, was sie tun müsste, damit es besser werde. Dass Dinge besser werden können, davon geht sie voller Optimismus aus, und vielleicht ist das die wichtigste Lehre vom Schwimmen: Wenn man mit einem guten Plan und Vorbereitung die Straße von Gibraltar bewältigen kann, warum nicht auch alle anderen Schwierigkeiten im Leben.

Welche Strecke sie als nächstes in Angriff nimmt, weiß Bohnhoff noch nicht. Bis sie eine Entscheidung getroffen hat, wird sie weiterhin fast täglich schwimmen gehen. Nur die letzten Tage direkt vor einer Überquerung verbietet sie sich das Schwimmen, damit die Lust aufs Wasser, wenn es dann losgeht, besonders groß ist.

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