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Sport: Die Fülle der Erwartungen

Brasilien spielt beim 1:0 gegen Kroatien noch nicht weltmeisterlich – vor allem Ronaldo fehlt Leichtigkeit

Berlin - Der neue Tag hatte schon begonnen, als Ronaldos Schwäche im Abschluss amtlich wurde. Um 0.20 Uhr trat ein Betreuer der brasilianischen Nationalmannschaft in den Katakomben des Berliner Olympiastadions vor die versammelte internationale Presse, um nur einen Satz zu sagen: „Er kommt nicht mehr.“ Ronaldo, der schwerfällige Star eines zum Auftakt nur selten leichtfüßigen Weltmeisters, hatte sich nach dem mühevollen 1:0-Sieg gegen Kroatien durch einen Hinterausgang zum Mannschaftsbus geschlichen. Am Ende einer Nacht der unerfüllten Erwartungen wollte er nicht mehr ins Licht der Öffentlichkeit treten.

Schon sein vorzeitiger Abgang vom Spielfeld hatte die Unzufriedenheit deutlich gemacht, die Ronaldo mit sich selbst und mit dem Publikum verbindet. Als Trainer Carlos Alberto Parreira den 29-Jährigen in der 68. Minute gegen den sieben Jahre jüngeren Robinho austauschte, füllte sich das bis dahin enthusiastisch feiernde Stadionrund mit Pfiffen. In diesem Moment war nicht klar, ob das Publikum wütend war, weil Ronaldo ausgewechselt wurde und damit Parreira diesem Säulenheiligen das Misstrauen aussprach. Oder ob die Zuschauer doch die schwache Leistung des brasilianischen WM-Rekordtorschützen quittierten. „Ronaldo muss erst noch ins Turnier finden“, sagte Parreira hinterher. Der Trainer möchte seinem Ziehsohn weiterhin Spielpraxis geben. Immerhin Ronaldo wusste, was in der heiklen Situation seines Abgangs zu tun war. Erhobenen Kopfes lief er zur Außenlinie und umarmte seinen Nachfolger. Robinho sagte später brav, dass er natürlich gerne von Anfang an gespielt hätte, „doch wenn ich auf der Bank sitze, drücke ich Ronaldo die Daumen“. Vielleicht ist genau das angebracht.

Glück wünschen derzeit viele dem einstigen Ausnahmefußballer von Real Madrid. Ist nicht das sein Problem? Wochenlang hatten sich die Radiostationen und Zeitungen in der Heimat mit seinem Körpergewicht befasst. Auf dem Spielbogen der Fifa war Ronaldo auch am Dienstag mit 82 Kilogramm geführt, auf seiner Homepage hatte er fünf Kilogramm mehr angegeben. In Berlin tändelte er schwachen Schrittes über den Platz und ließ allzu oft die Abseitsregel nicht für sich gelten. Mit zunehmender Spieldauer leistete er sich Fehlpässe.

Nach dem Schlusspfiff war sich die Mannschaft darin einig, ihren zweifelnden Star vor weiteren Diskussionen zu beschützen. Schließlich hatte die Last des Ruhms nicht nur einen Spieler beschwert, sondern nahezu das gesamte Team. „Das ist wie bei einem Lastwagen. Am Anfang muss man ihn aus seiner Trägheit herausholen“, tröstete sich Parreira und stellte für die nächsten Spiele gegen Australien und Japan einen höheren Gang in Aussicht. „Später bewegt sich ein Lastwagen schon, wenn man ihn nur mit dem Finger antippt.“ Manche Ansätze waren schon am Dienstag zu bestaunen. Zwar fand das vermeintlich beste Nationalteam der Welt nie in ihren verspielten Rhythmus. Doch immer wieder wurden die Kunstpausen unterbrochen von den Zaubertricks Ronaldinhos und den gefährlichen Schüssen Kakas. Den Zuschauern blieb dennoch nicht verborgen, dass ein Viertel des magischen Vierecks Ronaldinho, Kaka, Adriano und Ronaldo nicht rund lief.

Dass sich der unbestrittene Favorit vor den Augen der Welt in die WM quälte, lag auch am aggressiven und dabei nie unfairen Einsatz der Kroaten, die ein Unentschieden nach der starken zweiten Halbzeit verdient gehabt hätten. Es war wohl ebenso dem Umstand geschuldet, dass sich brasilianische Leichtigkeit nicht über 90 Minuten mit Präzision paarte. Wie trefflich passte es da, dass Kaka mit einem tollen Schuss aus 18 Metern einem durchschnittlichen Spiel ein bezauberndes Tor schenkte. „Wir müssen uns stärker bewegen und mehr Kreativität entwickeln“, forderte Kaka, der Ronaldo „noch nicht in Topform“ gesehen hatte.

So stand das einzige Tor am Dienstag sinnbildlich für das Spiel der Erwartungen. Der Rahmen im Berliner Olympiastadion – ein Ereignis. Der aufopferungsvolle Kampf der Kroaten auf dem Rasen und auf den Rängen – ein Erlebnis. Die Einzelaktionen von Ronaldinho und Kaka – eine Erstaunlichkeit. Trotzdem wollte sich all das nicht zu einer Nacht für die WM-Historie fügen. Schuld daran war ein Weltmeister, der die Last des Ruhms noch nicht zu schultern weiß. Und ein Star, dem die Leichtfüßigkeit nicht mehr leicht fällt.

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