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Sport: Die Gebete des Kämpfers

Alba Berlins schwer verletzter Kapitän Matej Mamic darf Weihnachten zu Hause mit seiner Familie feiern

Berlin - Drei kleine Engel stehen auf dem Brett neben dem Fernseher. Die achtjährige Mateja, die sechsjährige Antonia und der 16 Monate alte Bruno haben sie ihrem Papa geschenkt, damit die Engel ihn beschützen und schnell wieder gesund werden lassen. Ihr Vater, Alba Berlins Kapitän Matej Mamic, liegt seit genau vier Wochen mit einer schweren Rückenmarksprellung im Unfallkrankenhaus Berlin. Vor zwei Wochen konnte er die Intensivstation verlassen, seither lebt, kämpft, lacht und betet der kroatische Basketball-Nationalspieler allein in einem Zweibett-Zimmer, auf dem freien Nebenbett liegt ein Basketball. „Ich muss hart arbeiten, aber das bin ich als Sportler gewohnt. Niemand hat damit gerechnet, dass ich solche Fortschritte mache. Ich bin glücklich“, sagt er. Der 30-Jährige glaubt daran, dass er seine Karriere fortsetzen kann, auch wenn die Ärzte noch keine Prognose wagen. Schließlich war Matej Mamic an jenem verhängnisvollen 26. November nach seinem Unfall im Bundesligaspiel gegen Trier vorübergehend vollständig gelähmt und konnte zeitweise nur seine Augen bewegen.

Nun darf er sogar von heute bis Montag nach Hause und in seiner Wohnung in Grunewald mit Ehefrau Veronika, den Kindern und den Schwiegereltern Weihnachten und Antonias Geburtstag feiern. „Das ist wichtig für die Kinder. Sie wollen mich so sehen wie vor dem Unfall“, sagt Mamic, der Tag und Nacht eine große Halskrause trägt und im schwarzen T-Shirt vom „Hard Rock Cafe Madrid“ auf der Bettkante sitzt. Normal ist sein Zustand zwar noch lange nicht, doch bald will er sich einen Korb aufhängen lassen und Bälle werfen.

Dennoch ist und bleibt es ein Krankenzimmer. Ein Rollstuhl, ein Tisch mit rotem Wackelpudding, Gummibärchen, Eistee und einem Nikolaus, direkt am Bett ein Laptop und ein Brief von Mamics kroatischer Kirchengemeinde in Berlin. An der Wand hängen die Vergangenheit und die Gegenwart: ein Foto des Flügelspielers, wie er seinen Gegner in der Luft deutlich überragt. Und ein Foto, das nach dem Spiel gegen Bree, drei Tage nach dem Unfall, entstanden ist. Hunderte von Alba-Fans haben sich vor einem Transparent mit kroatischen Genesungswünschen aufgestellt. Ein Bild, das Mamic Kraft gibt – er hat es genau betrachtet. Als fünf Mitglieder des Fanklubs Alba-Tross ihn mit einer meterlangen Genesungskarte besuchen, deutet er sofort auf vier Köpfe, nur beim fünften braucht er Hilfe. Eine halbe Stunde nimmt er sich Zeit für die Fans, reißt den rechten Arm hoch und deutet einen Wurf an. Seht her, so weit bin ich schon wieder, signalisiert er mit dieser Geste. Geduldig stellt er sich zum Erinnerungsfoto. „In drei bis vier Wochen brauche ich keinen Rollstuhl mehr“, sagt er zum Abschied. Vorher will er auf keinen Fall als Zuschauer zu Alba zurückkehren. Er, der Fighter und Publikumsliebling im Rollstuhl, das darf nicht sein. Im Zimmer läuft er ohne Hilfe, zur Cafeteria im Erdgeschoss muss er sich schieben lassen. Die Gefahr eines Sturzes ist zu groß.

Noch flitzt Bruno schneller durch die Gänge als sein Vater, doch der macht bei Physio- und Ergotherapie große Fortschritte. Bei seinem ersten sehr optimistischen öffentlichen Auftritt waren ihm zwei, drei Schritte noch sehr schwer gefallen. Mamic gestikuliert mit beiden Armen, macht mit der schwächeren linken Hand eine Faust, löst sie und schiebt die Finger ineinander. Noch vor zwei Wochen waren die Finger der linken Hand gekrümmt, er konnte sie nicht strecken. „Ich kann mir die Schuhe wieder selber zubinden“, erzählt Matej Mamic, „aber beim Duschen brauche ich noch Hilfe.“ Wenn der Kroate die Halskrause dabei abnimmt, muss er den Kopf ruhig halten und kann sich den Rücken nicht einseifen.

Kleinigkeiten nur, schließlich sah Mamics Welt in den Tagen, nachdem er mit dem Rettungshubschrauber nach Marzahn geflogen worden war, ganz anders aus. Da musste ihm das Nutellabrot zum Frühstück vor den Mund gehalten werden, weil er ihn mit der Hand schlicht nicht erreichte. Und er konnte nicht auf den Knopf der Fernbedienung drücken, um das Fernsehprogramm zu ändern. „In dieser Nacht habe ich gebetet, dass ich wieder ein normales Leben führen kann“, sagt der gläubige Katholik. In dieser Nacht haben auch seine Familie, seine Freunde und die Fans besonders gebangt, weil niemand wusste, ob die speziellen Medikamente, die der Kroate sofort erhalten hatte, eine nahezu vollständige Lähmung verhindern würden.

Zur Sorge um die Gesundheit kam die Sorge um seine Kinder. Seine Familie lebt eigentlich in Split, dort besuchen die Töchter Schule und Vorschule. Erst kurz vor dem Unfall war Veronika Mamic mit Bruno und Antonia in Berlin gelandet, in der Halle erlebten sie mit, wie der Ehemann und Vater nach einem fairen Block eines Trierers das Gleichgewicht verlor, im Fallen mit dem Kopf gegen seinen Mannschaftskameraden Quadre Lollis schlug und dann regungslos liegen blieb. Veronika Mamic lief schreiend aufs Feld.

Der achtjährigen Mateja erzählten die Großeltern in Split von dem Unfall, ohne Details zu nennen. „Aber am gleichen Tag hat sie im Fernsehen gehört, dass ich gelähmt bin. Sie hat am ganzen Körper gezittert“, sagt Mamic, der zu diesem Zeitpunkt die Beine und teilweise auch die Arme schon wieder bewegen konnte. „Ich musste ihr am Telefon sagen, dass es mir gut geht“ – auch wenn er den Telefonhörer nicht selber halten konnte. In einem Brief, der auf dem Fernseher des Krankenzimmers steht, wünscht Mateja ihrem Vater, „dass Jesus dir hilft und dir Stärke gibt. Ich will dich bald wieder in der Familie sehen. Ich habe dich lieb“. Mamic musste weinen, als er diese Zeilen las, und auch bei seiner ältesten Tochter flossen vor einer Woche Tränen, als sie ihren bislang so starken Vater erstmals nach zweieinhalb Monaten wieder sah – am Krankenbett. „Für die Kinder will ich normal sein“, sagt Mamic.

Auch deshalb ist ihm Weihnachten zu Hause im Kreis der Familie so wichtig. Sein größter Wunsch ist Gesundheit für sich und seine Familie. Sein sportliches Comeback ist nichts, was er sich zu Weihnachten wünscht, zumindest betet er nicht dafür. „Das Comeback ist etwas, das ich mit harter Arbeit erreichen kann. Auch vor Spielen habe ich Gott nie um eine starke Leistung gebeten, sondern um Gesundheit.“ Dass noch eine schwere Zeit auf ihn zukommt, ist Mamic bewusst. Seine Frau, die täglich mit dem selbst gekochten Abendessen quer durch die Stadt fährt, will sich eine Wohnung in der Nähe der Klinik suchen. Mamics Eltern und Schwiegereltern werden abwechselnd in Berlin sein und sich um Bruno kümmern. Ob er noch wochen- oder gar monatelang im Krankenhaus sein wird? „Wochen sicher nicht.“

Helen Ruwald

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