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Sport: Die Gegenspieler

Nach nur 22 Spieltagen in der Bundesliga hat sich der Kreis der Abstiegskandidaten auf fünf Klubs reduziert

Berlin - Jan Koller verlor für einen Moment die Beherrschung. Christian Schulz war dem Tschechen 90 Spielminuten lang auf die Nerven gegangen. Also holte Koller tief Luft, spuckte in Richtung seines Hannoveraner Gegenspielers. Das war wenig appetitlich und wird ein Nachspiel haben, vor dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Rechtfertigen lässt sich Kollers Tat kaum, erklären schon: Wann immer sich Menschen in Stresssituationen befinden, neigen sie zu unüberlegten oder überstürzten Handlungen. Und Jan Koller ist mit dem 1. FC Nürnberg unter Druck. Nicht erst seit dem 1:2 von Hannover befindet sich der Pokalsieger in höchster Abstiegsgefahr.

In der Bundesliga hat sich schon nach nur 22 Spieltagen ein Quintett als Kandidatenkreis auf die drei Abstiegsplätze herausgespielt: Duisburg, Cottbus, Nürnberg rangieren mit nur 17 Punkten auf den nicht begehrten letzten drei Tabellenrängen, Bielefeld (19 Punkte) und Rostock (22) knapp davor. Das Bemerkenswerte daran ist: Vergangene Saison hatten die drei Teams auf den letzten drei Plätzen zum gleichen Zeitpunkt drei bis fünf Punkte mehr und der Kandidatenkreis für den Abstieg ging nach 22 Spieltagen bis zum Zehnten Wolfsburg, der gerade mal zwei Punkte mehr eingespielt hatte als der damalige Tabellensechzehnte Cottbus.

Der Abstiegskampf der laufenden Saison hat auf den ersten Blick etwas erstaunlich Undramatisches. Zwei von fünf Kandidaten vertrauen trotz der Brisanz ihrer Situation sogar noch auf den Trainer vom Saisonanfang: Frank Pagelsdorf bei Hansa Rostock und Rudi Bommer beim MSV Duisburg müssen sich wohl erst einmal keine ernsthaften Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Der Abstieg war bei den Aufsteigern von Saisonbeginn zwar nicht einkalkuliert, würde die Klubs aber auch nicht überraschend treffen. Ob sein eher schwach besetzter Kader für den Klassenerhalt reiche, wurde Frank Pagelsdorf etwas vor Saisonbeginn gefragt, der Rostocker Trainer antwortete eher lapidar: „Ich bin doch kein Hellseher.“

Energie Cottbus macht im Gegensatz zu den Aufsteigern Rostock und Cottbus nun schon in der zweiten Saison Urlaub von der Zweiten Liga. Kein Wunder, viel Geld haben sie in der Lausitz nicht. Schließlich zahlt zum Beispiel der Trikotsponsor der Cottbuser nicht einmal zwei Millionen Euro pro Saison – das ist weniger als ein Zehntel von dem, was Bayern München bekommt. In der Bundesliga gehe es „nur darum, zu überleben“, sagte Klubpräsident Ulrich Lepsch, vor dieser Spielzeit. Abstiegskampf ist eben Existenzkampf: Wie ein Bundesliga-Report der Deutschen Fußball-Liga (DFL) aus dem Jahr 2006 zeigt, verloren Bundesliga-Absteiger in der folgenden Zweitligasaison über 40 Prozent ihrer Einnahmen. Allein die Verteilung der Fernsehgelder ist frappant unterschiedlich: Nur ein Fünftel fließt in die zweite Klasse.

Doch mit der Rettung sieht es in Cottbus trotz des frühen Trainerwechsels nach missglücktem Saisonstart auch unter Trainer Bojan Prasnikar schlecht aus. Die Lausitzer haben erst einen Punkt in der Rückrunde geholt und als einzige Mannschaft überhaupt nur drei Mal in dieser Saison gewonnen. Bei Arminia Bielefeld hingegen verklärten ein guter Saisonstart und hehre Ziele von Trainer Ernst Middendorp – „wir werden als Einheit noch viel mit Leidenschaft erreichen“ – wohl lange Zeit ein wenig die Realität. In Ostwestfalen wollten sie viel und bekommen nun am Ende vielleicht wenig. Am Sonnabend freute sich Nachfolger Michael Frontzeck nach fünf Niederlagen in Folge schon so überschwänglich über einen Punkt in Rostock, dass ihm hinterher nach Ironie war. „Morgen wird mein Vertrag sicher um drei Jahre verlängert“, sagte Frontzeck.

Bei den Nürnbergern gibt es weniger Humor im Abstiegskampf. Zum siebten Mal droht den Franken der Abgang in die Zweitklassigkeit und trifft die Franken unvorbereitet nach einer grandiosen Saison, die unter Trainer Hans Meyer im DFB-Pokalsieg gipfelte. Die Nürnberger fühlen sich im Abstiegskampf unwohler als alle Konkurrenten, hat Meyers Nachfolger Thomas van Heesen entdeckt. Er sagt: „Die Mannschaft kam eineinhalb Jahre mit spielerischen Mitteln zum Erfolg. Jetzt muss sie lernen, den Schalter umzulegen. Wir brauchen Leute, die sich gegenseitig pushen.“ Auch das brave Auftreten der Spieler missfalle ihm. Marcel Koller kann von Heesen damit allerdings nicht gemeint haben.

Der Ausraster des Nürnbergers Koller komme allerdings nicht von ungefähr, sagt Sportpsychologe Markus Flemming. Das Problem am Abstiegskampf sei, dass er sich als Aufgabe mit den üblichen Ambitionen jedes Sportlers nur schwer vereinbaren ließe und daher die Stresssituation für den Spieler enorm groß sei. „Im Normalfall wollen Profis Titel gewinnen und nicht etwas verhindern“, sagt Flemming. „Daher erklären wir auch in jedem Trainerseminar: Sagen sie ihren Profis, dass sie um Platz 15 spielen sollen und nicht gegen den Abstieg“, sagt Flemming.

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