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Sport: Die große Inszenierung

Mehr als 60 000 Fans feiern im Olympiastadion

Berlin – Tim Lobinger drückte sich von seinem Stab ab, rollte über die Latte, dann durchzog ein Aufschrei das Olympiastadion. Der Stabhochspringer Lobinger hatte 5,60 m bewältigt, es war sein erster Einsatz an diesem Tag, und während er seinen Stab ablegte, prasselte warmer Applaus auf ihn ein. Der Beifall klang wie eine kleine Entschuldigung. Denn Lobinger, der sich normalerweise als Showman inszeniert und bei vielen Meetings gefeiert wird, war bei der Vorstellung der Athleten von den Zuschauern mit „Buh“-Rufen und Pfiffen empfangen worden. Die Zuschauer haben vermutlich nicht vergessen, dass Lobinger bei den Olympischen Spielen sportlich mit 5,55 m weit hinter seinen flotten Sprüchen zurückgeblieben ist.

Aber dieser warme Applaus, diese Geste, die man auch als Entschuldigung interpretieren könnte, hatte etwas Symbolhaftes für diesen Tag. Kritische Zwischentöne für Sportler, für echte oder selbst ernannte Stars, passten einfach nicht zur Stimmung beim diesjährigen Istaf. 61 150 Zuschauer waren ins Olympiastadion gekommen, jedenfalls war das die offiziell angegebene Zahl. Eine Zahl, die Berlin helfen dürfte, die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009 ins neue Olympiastadion zu holen.

Die Berliner Zuschauer gingen mit, sie jubelten, feuerten an, begleiteten den Anlauf der Stabhochspringer und der Weitspringerinnen mit rhythmischem Klatschen, und das packende Finale im 5000-m-Lauf der Männer feierten sie mit ohrenbetäubendem Lärm. Und als der 17-jährige Kenianer Augustine Choge, der in einer exzellenten Zeit gewonnen hatte, groß auf der Videoleinwand gezeigt wurde, brandete erneut Beifall auf. Die Ehrenrunde von Choge auf der blau leuchtenden Laufbahn wurde zum Schaulaufen. Die Berliner Kulisse war beeindruckend. Für die US-Hürdensprinterin Joanna Hayes war die Atmosphäre „großartig. Es war wundervoll, hier zu laufen“. Für den jamaikanischen Sprinter Asafa Powell war das Istaf „wundervoll“. Und die Speerwerferin Steffi Nerius, Olympiazweite von Athen, fand die Fans „sensationell“.

Solche Emotionen waren wichtig, schließlich saßen führende Funktionäre des Welt-Leichtathletikverbands IAAF auf der Ehrentribüne. Jene Leute, die im Dezember darüber entscheiden, wer die WM 2009 ausrichten darf. Für den Kandidaten Berlin war es deshalb am Sonntag wichtig, das Istaf als großartiges Meeting zu präsentieren.

Zwar erreichten die Berliner Zuschauer mit ihrer Begeisterung nicht jene emotionalen Spitzenwerte, die etwa in Stuttgart bei der Weltmeisterschaft 1993 oder bei der Europameisterschaft 2002 in München registriert wurden, aber das war auch nicht zu erwarten. Das Istaf ist eine Ein-Tages-Veranstaltung, und für so einen Wettbewerb war die Stimmung sehr gut. Nadine Kleinert zum Beispiel wurde schon begeistert gefeiert, als sie nur auf der Videoleinwand auftauchte. Die Magdeburgerin hatte in Athen Silber gewonnen, das war eine der beiden Medaillen, die Deutschlands Leichtathleten bei Olympia holten. Sie personifizierte in Berlin seltenen Erfolg. Im gleichen Maße wurde Steffi Nerius gefeiert. Als sie das Stadion verließ und den Zuschauern zuwinkte, durfte sie im Applaus baden.

Nur zwei Protagonisten wurden lustvoll und ausdauernd ausgepfiffen. Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister, und sein Sportsenator Klaus Böger. Die Politiker nahmen das gelassen hin. Sie sind das gewohnt.

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