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Hier eist der Chef noch selbst. Weil nach der Qualifikation kein Mechaniker das Auto anfassen darf, kühlte Sebastian Vettel die Bremsscheiben seines Autos selbst herunter. Foto: dpa

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Sport: Die große Kontrollwut

Die Formel 1 leidet unter übereifrigen Regelhütern – in Japan muss Vettel wieder lange um Platz eins bangen.

Sebastian Vettel musste warten, mal wieder. In Suzuka war der Red-Bull-Pilot am Samstag in der Qualifikation souverän die Bestzeit vor seinem Teamkollegen Mark Webber gefahren. Doch mehr als drei Stunden danach war immer noch nicht klar, ob er im heutigen Formel-1-Rennen in Japan (8.00 Uhr/RTL und Sky) tatsächlich von Platz eins starten dürfen würde. Der WM-Führende Fernando Alonso, der im Ferrari nur Sechster wurde, hatte sich beschwert: Vettel habe ihn in der letzten Schikane aufgehalten. So berieten die Rennkommissare stundenlang über ein Urteil, wie schon zuletzt nach Vettels Sieg in Singapur.

In Suzuka sprachen die Sportkommissare nur eine Verwarnung aus. Vettel durfte seinen ersten Startplatz behalten, muss allerdings in Zukunft noch ein bisschen mehr aufpassen, denn eine bestehende Verwarnung kann bei einem weiteren Zwischenfall ähnlicher Art schneller zu einer Strafe führen. Doch selbst italienische Journalisten, denen Ferrari Videos der Situation im Detail gezeigt hatten, wunderten sich über die Verwarnung. Ihnen war jedenfalls nicht klar, „was Fernando da eigentlich will“. Dabei ist das eigentlich klar: Es ist Taktik.

Seit einiger Zeit tendieren die Abgesandten des Automobil-Weltverbands Fia dazu, praktisch alle Rennsituationen zu untersuchen. Das wird offenbar zumindest von einigen ausgenutzt, um sich immer wieder Vorteile zu verschaffen. Es setzt sich durch, das Strafensystem, das eigentlich aus Sicherheitsgründen geschaffen wurde, zu politischen Zwecken zu missbrauchen.

Allen voran von Ferrari, wo man offenbar merkt, im WM-Finale der Geschwindigkeit von Red Bull nichts mehr entgegensetzen zu können. Alonso hatte es mit seinem lautstarken Gemeckere schon in Monza geschafft, dass Sebastian Vettel eine Boxendurchfahrtsstrafe bekam, als der Spanier bei einem etwas gewagten Überholversuch leicht neben die Strecke geriet. Vettel habe ihn „abgedrängt“, schimpfte er per Boxenfunk. Bei der umgekehrten Situation im Vorjahr war nichts passiert, „aber ich habe ja damals auch nicht rumgeschimpft“, wie der Heppenheimer nachher feststellte.

In Singapur versuchte es auch der McLaren-Pilot Jenson Button mit einer Schimpftirade per Funk. Nachdem er am Ende der Safetycar-Phase Vettel fast ins Heck gefahren war, behauptete er: „Sebastian hat beim Reifenaufwärmen völlig unberechenbar und viel zu hart gebremst.“ Und auch wenn sich die Vorwürfe später in Luft auflösten, erreichte er zumindest eine fast dreistündige Untersuchung. Drei Stunden, in denen Vettel und auch die Zuschauer nicht wussten, ob sein Sieg Bestand haben würde.

In Singapur herrschte sowieso die große Untersuchungswut, jeder noch so kleine Vorfall kam unter die Lupe. Zeitweise liefen vier bis fünf „Investigations“ gleichzeitig. Zu viel für viele Experten. „Schließlich fahren wir immer noch Rennen – aber so macht man allmählich den Rennsport kaputt“, meinte der frühere Teamchef Eddie Jordan, heute BBC-Experte.

Erstaunlich ist, dass dort, wo es wirklich um Sicherheit geht, oft nicht so genau hingeschaut wird. In Suzuka verbesserten in der Qualifikation einige Fahrer ihre Bestzeiten unter Gelber Flagge, ohne belangt zu werden – darunter auch Alonso und Sauber-Pilot Kobayashi. Dabei heißt die Gelbe Flagge, die hier nach dem Unfall von Kimi Räikkönen geschwenkt wurde, nichts anderes als: langsam fahren.

Ein weiterer Kritikpunkt am Strafensystem ist, dass die Entscheidungen von Rennen zu Rennen sehr unterschiedlich ausfallen. Abhängig auch davon, wer gerade im Gremium der Sportkommissare sitzt. „Ich sage ja schon ewig, dass wir da permanente Leute bräuchten und nicht jedes Mal andere", meint etwa Alexander Wurz, der im letzten Jahr noch mehrmals als Fahrervertreter unter den Kommissaren agierte. Die Zusammensetzung ist auch nicht immer glücklich. In Monza etwa, als Vettel die Strafe bekam, saßen in dem vierköpfigen Gremium zwei Italiener und ein Spanier – bestimmt kein Schaden für Ferrari und Alonso.

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