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Sport: Die große Leere

Von Christoph Kieslich Winden. Mehr denn je wird das Champions-League-Finale am Mittwoch zu einer Angelegenheit von übergeordneter Bedeutung werden.

Von Christoph Kieslich

Winden. Mehr denn je wird das Champions-League-Finale am Mittwoch zu einer Angelegenheit von übergeordneter Bedeutung werden. Nicht nur die Anhänger von Bayer Leverkusen oder die in dieser Saison neu hinzugewonnenen Freunde Leverkusener Fußballkunst werden mit einer Mannschaft fiebern, die am Ende einer famosen Saison einen kapitalen Absturz erleben könnte. Das Endspiel gegen Real Madrid wird, so steht zu vermuten, auch unmittelbar auf die WM-Vorbereitung des Nationalteams abstrahlen.

Falls Bayer auch die dritte finale Chance nicht packt, wird sich der DFB-Tross auf dem Weg nach Asien in eine Auffanggesellschaft für fünf gestrandete Fußballerseelen verwandeln. Hans-Jörg Butt wird an Position drei im deutschen Tor dabei nicht ausschlaggebend sein, aber auf Michael Ballack, Oliver Neuville, Bernd Schneider und Carsten Ramelow ruhen derzeit viele Hoffnungen beim WM-Turnier. Hoffnungen auf Stabilität, Kreativität und Torgefährlichkeit.

Doch ganz abgesehen davon, dass dieses Quartett an Feldspielern mit einem Tank auf die Zielgerade schlittert, der bedrohlich auf Reserve blinkt, sind die mentalen Auswirkungen eines kompletten Scheiterns noch gar nicht zu übersehen. Kopf und Körper, hat der Brasilianer Zé Roberto zugegeben, schmerzen. Wo noch vor einigen Tagen postuliert wurde, dass der Lobgesang auf den überzeugenden Fußball der Leverkusener als schönste Auszeichnung begriffen wird, schleicht sich nun doch die Furcht vor der großen Leere ein.

Bundestrainer Michael Skibbe versuchte gestern vom beschaulichen Schwarzwald aus zu beruhigen. „Ich wäre ein schlechter Trainer, und Klaus Toppmöller wäre es auch, über eine Niederlage am Mittwoch nachzudenken.“ Die gesamte Rückrunde habe die Leverkusener Mannschaft auf hohem Niveau gespielt und nach Rückschlägen immer wieder eine gute Reaktion gezeigt. „DFB-Pokal und Champions League sind zwei Paar verschiedene Schuhe“, sagte Skibbe, der Leverkusen zwar als Außenseiter gegen Real bezeichnet, die Chancen aber nichtsdestotrotz auf fünfzig zu fünfzig taxiert.

Damit dürfte Skibbe zu den größeren Optimisten zählen. Leverkusens Hoffnung beruhe nun gerade darauf, dass ihnen vielleicht nicht mehr viel zugetraut wird. Zwar hat Real Madrid im Jahr seines 100. Geburtstages auch schon zwei Titel verspielt und steht unter mindestens so hohem Erfolgsdruck wie Bayer 04, doch die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass sich der Rekordgewinner der wichtigsten europäischen Trophäe auf den Punkt in der Champions League zu steigern wusste.

„Leverkusen gewinnt!“ warf Jens Jeremies gestern im Elztal trotzig ein. Für den langsam wieder in Tritt kommenden Mittelfeldspieler beruht diese These schlicht auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung: „Weil man irgendwann mal ein Endspiel gewinnen muss." Jeremies trat gestern aber auch als zuverlässiger Zeuge für die Folgen eines grandiosen Scheiterns auf. Er erinnerte an 1999 und das Endspiel gegen Manchester United, als dem FC Bayern der Gewinn der Champions League in der Nachspielzeit entrissen worden war. Lange Zeit, räumt Jeremies ein, habe es gedauert, bis dieser Misserfolg verdaut gewesen sei. „Eigentlich zwei Jahre, bis wir den Pokal in Händen hielten.“ Erst dadurch sei Barcelona aus den Köpfen der Bayern-Spielern endgültig getilgt gewesen.

So gesehen kann man Bayer Leverkusen auch im Hinblick auf die Ambitionen der Nationalelf nur alles Gute für das Spiel in Glasgow wünschen. „Drei Endspiele zu verlieren“, warnt Jeremies, „das erzeugt noch einmal eine höhere Qualität der Enttäuschung." Der 28-Jährige machte im Gegensatz zu Skibbe kein Hehl aus der Überlegung, was im schlechtesten Fall auf die Nationalmannschaft zukommen könnte. „Wenn Bayer verliert, wird es schwer. Dann muss die Gruppe noch näher zusammenrücken und die Spieler aufpäppeln.“

Jens Jeremies machte gestern den Eindruck, als ob er sich auf so etwas Ähnliches schon einstellt: „Ein Titel für Leverkusen hätte einen positiven Touch reingebracht.“

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