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Sport: Die Hackordnung ist zerbröselt

LONDON .Wimbledon ist die letzte Bastion von Pete Sampras; Pete Sampras ist die letzte Bastion im Herren-Tennis.

LONDON .Wimbledon ist die letzte Bastion von Pete Sampras; Pete Sampras ist die letzte Bastion im Herren-Tennis.Aber selbst die Institution "Pete Perfect" wankt gewaltig.In Wimbledon hat er 912 Punkte zu verteidigen und steht unter größerem Druck als je zuvor.Scheidet er hier frühzeitig aus, wird es einen Wechsel an der Spitze der Weltrangliste geben.Wie schon einmal in diesem Jahr, als der Chilene Marcelo Rios den US-Amerikaner kurzzeitig verdrängt hatte.Nun könnte auf dem "heiligen" Londoner Rasen rechnerisch ein halbes Dutzend Spieler das Regiment übernehmen, so gering sind die Punkt-Differenzen ganz oben geworden, wo zu Zeiten der Lendls, McEnroes, Wilanders, Edbergs und Beckers klare Verhältnisse herrschten.Speziell bei den vier Grand-Slam-Turnieren gelang es sogenannten "Underdogs" nur selten, den Top-Spielern ein Schnippchen zu schlagen.

Das hat sich total verändert.Bei den letzten fünf Grand-Slam-Turnieren gab es zehn verschiedene Finalisten - drei von ihnen marschierten gar ungesetzt ins Endspiel durch."Kein Mensch", hat Boris Becker behauptet, "weiß heute noch so genau, wer im letzten Jahr in den Endspielen stand." Überraschungen hat es zwar früher auch gegeben.Aber nicht in dieser Häufigkeit.Inzwischen kann jeder mal, darf jeder mal.Das mag auf den ersten Blick die Spannung erhöhen.Doch es mehren sich die Stimmen derer, die von der zunehmenden Auflösung der Hackordnung nicht begeistert sind.Die Szene lebte - besonders in Konkurrenz mit anderen Sportarten - nicht schlecht von den polarisierenden Dauer-Duellen zwischen Lendl und McEnroe, Becker und Stich, Sampras und Agassi.Doch wen interessieren, außer in den Heimatländern der betreffenden Spieler, die Duelle Moya - Corretja (French Open), Korda - Rios (Australian Open), Rafter - Rusedski (US Open)?

Zumal die Herrschaften, salopp gesagt, über die Rolle von Eintagsfliegen bisher kaum hinauskamen.Der Australier Patrick Rafter hatte nach den US Open eine lange Durststrecke zu überstehen, ehe ihm nun in Rosmalen wieder ein Erfolg gelang.Der bereits 30jährige Tscheche Petr Korda, dessen Triumph in Melbourne ein bezeichnendes Licht auf die komplett versammelte, jüngere Konkurrenz warf, quält sich seither mit Verletzungen.Untersuchungen einer Sportmarketing-Agentur haben ergeben, daß aus den aktuellen "Top ten" nur Sampras, Rafter und Rios auch Sportfans ansprechen, die sich für Tennis nicht sehr interessieren.Den Herren gehen die Typen aus, die entweder durch sportliche Konstanz (Chang, Courier, Wilander) oder durch auffälliges Gebaren (Ivanisevic, Muster), am besten durch beides (McEnroe, Becker) die Tennis-Welt eine prägten.Marketing-Strategen wie der IMG-Chef Mark McCormack, sehen darin eine "verhängnisvolle Entwicklung, die dem Sport schadet".

Zumal sich auf der anderen Seite die jahrelang quasi nebenherlaufenden Damen prächtig emanzipierten.Sie haben mit der Marktführerin Martina Hingis, den zurückgekehrten Monica Seles und Steffi Graf sowie den aufstrebenden Anna Kurnikowa, Venus und Serena Williams bei den Etablierten wie bei den Neulingen den Männern einiges voraus.Trotzdem räumten seit 1990 insgesamt nur neun Damen sämtliche Titel bei 34 Grand-Slam-Turnieren ab.Eine Konstanz, um die sie von den Herren ein bißchen beneidet werden dürften.Bei denen waren es 16.

DIETMAR WENCK

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