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Sport: Die härteste Niederlage

Alexander Frei war der Hoffnungsträger der Schweiz, bis sich der Stürmer gegen Tschechien verletzte. Die Tschechen haben die gleiche Situation bei der WM 2006 selber erlebt – und schieden danach aus

Wie dünn so ein Knie doch sein kann. Und wie dick ein Eisbeutel. Als Alexander Frei vom Platz humpelte, gestützt auf zwei Helfer, weil Krücken noch nicht zur Hand waren, kam er auch an der Schweizer Mannschaftsbank vorbei, und niemand dort schien mehr auf das EM-Eröffnungsspiel gegen die Tschechen zu achten. Alle Blicke galten der Bandage um das linke Knie des Schweizer Kapitäns. Oben und unten quollen die Eiswürfel hervor, dazu weinte Frei Tränen so reichlich, als wolle er dem lädierten Gelenk zusätzliche Kühlung verschaffen. Half alles nichts. Noch in der Kabine des Baseler St. Jakob-Parks diagnostizierte der Mannschaftsarzt einen Teilabriss des Innenbandes, ein genauerer Befund sollte im Lauf des Sonntags nachgereicht werden. Wie lang Frei pausieren muss, steht noch nicht fest, ein Comeback bei der EM aber ist ausgeschlossen.

Der Verlust des besten Stürmers traf die Schweizer beinahe noch härter als die unglückliche 0:1-Niederlage gegen die Tschechen. „Frei stürzt die Schweizer in Schwermut“, titelte die „Neue Zürcher Zeitung“ und analysierte treffend: „Mit Alex Frei verließ auch ein Stück Hoffnung das Stadion.“ In der Tat: Wer soll jetzt die Tore schießen, auf dass die Schweizer noch den in weite Ferne geratenen Einzug ins Viertelfinale schaffen? Frei ist der einzige Schweizer Angreifer von internationalem Format. Der für ihn eingewechselte Hakan Yakin ist der erfolgreichste Schütze der Nationalliga, aber eben doch eher offensiver Spielmacher denn Torjäger. Marco Streller dilettierte gegen die Tschechen so harmlos vor sich hin wie früher in der Bundesliga in Köln und Stuttgart. Und Johan Vonlanthen, der spät die Latte traf, ist nicht mal bei Red Bull Salzburg Stammspieler.

Alexander Frei ist für die Schweizer, was Jan Koller für die Tschechen ist: unverzichtbar. Der Altstar aus Nürnberg war bis zu seiner Auswechslung Alleinunterhalter im tschechischen Angriff. Der für ihn eingewechselte frühere Herthaner Vaclav Sverkos ließ sich später für sein Siegtor als Held feiern, doch dieser Treffer fiel eher zufällig – nach einem Kopfball ins Blaue von Tomas Galasek und einem Schuss, bei dem Sverkos der Ball über den Spann rutschte. Er hatte den Ball gar nicht richtig getroffen, fast wäre der sogar noch am Tor vorbei gerollt. Dieses glückliche Siegtor ließ bei Frei noch einmal die Tränen fließen, Koller jubelte auf der Bank mit. Er hat ähnliches Verletzungspech erlebt, vor zwei Jahren, bei der WM in Deutschland.

In Gelsenkirchen erzielte Koller damals im ersten Vorrundenspiel das Führungstor gegen die USA, verletzte sich dann aber am Oberschenkel. Es war, wie bei Frei, die verflixte Phase kurz vor der Halbzeitpause. Der Schweizer stürzte nach einem Zweikampf mit Zdenek Grygera und verdrehte sich dabei das Knie. Bei Koller war es ein Laufduell mit dem Amerikaner Oguchi Onyewu. Er kam ins Straucheln, trat vielleicht auf eine Unebenheit im Rasen, stürzte und schrie. Muskelfaserriss, Weltmeisterschaft vorbei. Die Tschechen siegten zwar 3:0 gegen die Amerikaner, verloren aber die folgenden beiden Spiele ohne Koller und mussten deshalb nach der Vorrunde nach Hause fahren. „Ich weiß, wie Frei sich fühlt, und wünsche ihm gute Besserung“, sagte Jan Koller am Samstag in Basel.

Auch Jakob Kuhn litt mit seinem besten Stürmer. „Es ist fatal, den Kapitän im ersten Spiel auf diese Weise zu verlieren“, sagte der Schweizer Trainer, und vielleicht dachte er an das, was Alexander Frei vor ein paar Tagen erzählt hatte. Über seine vielen Verletzungen, die Waden- und Hüftoperationen der vergangenen Saison in Dortmund, an die vielen Monate, der er hauptsächlich in Rehazentren verbrachte. Das Schlimmste sei die Ungewissheit, sagte Frei, das ständige Warten, die Hoffnung, dass die Muskulatur sich endlich erholen werde und schmerzfreie Sprints und Drehungen wieder zulasse. „Bei einem Kreuzbandriss weißt du wenigstens, dass du in sechs Monaten wieder spielen kannst.“

Als er das sagte, wusste Alexander Frei noch nicht, wie nah er damit seinem zukünftigen Leiden kommen würde.

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