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Sport: Die Könige der Welt

Der Handel mit dem Lieblingsspiel der Erde hat den Fußballverband Fifa größer als die UN gemacht. Und wer die Lizenz zum Gelddrucken hat, braucht keine Ethik

Ethik. Als Philosophie über das menschliche Verhalten vor 2500 Jahren von Aristoteles begründet, beschreibt sie heute die Gesamtheit sittlicher und moralischer Grundsätze. Der Fußball-Weltverband Fifa hat auch Ethik – verbannt in eine Kommission. Hier wird nicht nachgedacht über moralische Maßstäbe, hier wird nur nachgefragt nach allzu offensichtlichen Verfehlungen im größten Sportverband der Welt. Wenn es gar nicht mehr anders geht, versteht sich.

Nachdem zwei hohe Fifa-Funktionäre gegenüber verdeckt operierenden Journalisten unfreiwillig zugegeben haben, ihre Stimme für die anstehenden Weltmeisterschaftsvergaben gegen Geld anzubieten, hat die Kommission wieder mal etwas zu tun: Die Fifa muss in eigener Sache ermitteln. Joseph Blatter, vor zwölf Jahren mit vordemokratischen Methoden ins Amt gekommen, gibt in der neuesten Affäre seines Verbandes den Aufklärer und gekränkten Ehrenmann. Die beiden Delinquenten wurden von der Ethikkommission umgehend suspendiert. Die Abstimmungen über die WM-Austragungsorte 2018 und 2022 finden wie geplant am 2. Dezember statt. So einfach soll das sein.

Aber so leicht lässt sich Korruption nicht nehmen.

„Korruption? Soll die Fifa jetzt aufhören? Sollen wir heimgehen?“ Diese Fragen rief Blatter den Delegierten des DFB-Bundestages in dieser Woche in Essen zu. Um sich schnell selbst zu antworten: „Nein, natürlich nicht. Der Fußball soll weitergehen.“ Warum aber muss der organisierte Fußball unter Verantwortung der Fifa immer so weitermachen wie bisher? Diese Frage ließ der 74-jährige Walliser vorsichtshalber aus.

Die aktuelle Affäre zeigt gleich in mehrfacher Hinsicht, was die Fifa so empfänglich macht für schmierige Geschäfte. Man muss nur die Aufklärung der Korruption durch die Führung des Fußball-Weltverbandes auseinandernehmen: in die Aufklärung, die Korruption, die Führung, den Fußball und den Weltverband.

Der Weltverband. Die Fédération Internationale de Football Association ist mit 208 Mitgliedsländern mittlerweile größer als die Vereinten Nationen. Blatter wird rund um den Globus wie ein Sonnenkönig aus dem Heiligen Land des Fußballs behandelt. Auch deshalb wähnt er sich nach der ersten Weltmeisterschaft in Afrika bereits auf dem Weg zum Friedensnobelpreis. Im glanzvollen Palast „Home of Fifa“ in der eigens neu benannten Züricher Fifa-Straße können einen schon mal solche Allmachtsträume anspringen: Umstellt von Fifa-Flaggen und Fifa-Wimpeln tagt hier die 24-köpfige Fifa-Regierung in Konferenzsälen, in denen man unter 200 000 Euro teuren Kronleuchtern Zucker aus Fifa-Zuckertüten in Fifa-Kaffeetassen schütten kann. Das Eigenkapital der Fifa beträgt mehr als eine Milliarde US-Dollar. Blatter verdient eine Million im Jahr, „die Währung können Sie sich aussuchen“.

Der Fußball. Das Lieblingsspiel der Welt muss sich nicht mehr ändern, um noch populärer und globaler zu werden – deshalb kommt auch niemand in der Fifa auf die Idee, es zu tun (mal abgesehen von Blatters Koketterien mit der Abschaffung des Unentschiedens). Stattdessen werden durch Fernsehverträge und Sponsorendeals eingenommene Millionensummen verteilt. Stattdessen wird rund um die Weltmeisterschaften die Exklusivität der Fifa-Sponsoren durchgeboxt – selbst gegen kleine lokale Bäckereien, die bloß ein paar WM-Brötchen backen wollen. Viele Einnahmen der Fifa fließen inzwischen in die Entwicklungshilfe – in den vergangenen vier Jahren knapp 700 Millionen US-Dollar. Das hilft nicht nur dem Fußball in den bedachten Ländern und dem Image des Verbandes. Es sichert auch Loyalitäten für die Leute, die das Geld vergeben.

Die Führung. Die Regierung der Fifa, das Exekutivkomitee, besteht aus einem selbst gesponnenen Netz von Abhängigkeiten. Die Verbände aus aller Welt werden von 24 Menschen repräsentiert, darunter sind wenige ehemalige Fußballer wie Franz Beckenbauer und viele altgediente Funktionäre. Mit ihren Stimmen verteilen sie Millionen, mit ihrer Stimme vergeben sie Weltmeisterschaften, die wie in Deutschland ein ganzes Land verändern können – zumindest in der Sicht der Welt auf das Land. Auch deshalb umgarnt selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel den Fifa-Präsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz und netten Worten auf dem DFB-Verbandstreffen, obwohl sie vor gemeinsamen Fotos lieber zügig Reißaus nimmt. Von der öffentlichen Meinung abhängige Politiker haben schnell gelernt: Eindruck macht man besser vor Blatter allein, nicht mit ihm.

Die Korruption. Skandale wurden in der Fifa niemals konsequent verfolgt. Als Fifa-Exekutivmitglied Jack Warner vor der WM 2006 überteuerte Eintrittskarten über ein Reisebüro seiner Familie losschlagen wollte, musste er sich nur von dem Reisebüro lossagen, nicht aber von seiner Fußballfunktionärsfamilie. Typisch Fifa ist auch die eigene für Ethik zuständige Kommission. Deren Mitglieder durften bis 2006 zeitgleich Mitglieder der Exekutive sein, kontrollierten sich also faktisch selbst. Inzwischen beruft die Regierung die eigenen Kontrolleure nur noch. Blatter hat dies als große Reform verkauft. Dabei ist jener Aggregatzustand weiterhin nicht gegeben, der für den Kampf gegen Korruption unerlässlich ist: Unabhängigkeit.

Die Aufklärung. Im aktuellen Fall wurde die Aufarbeitung von außen in Gang gesetzt, durch einen öffentlichen Skandal auf der Basis von (allerdings ebenfalls ethisch fragwürdigen) Recherchen. Auch die Aufklärung der Fifa ist nur vordergründig brutalstmöglich: Die der Käuflichkeit überführten Funktionäre sind bislang nur vorläufig suspendiert. Ihr Rückkehrrecht haben sie keineswegs verwirkt, möglicherweise kehren sie schon vor der Abstimmung am 2. Dezember zurück, sicherlich aber erst danach. Vorwärts und jemals vergessen: Auch das könnte Blatter, der kommendes Jahr zu einer weiteren Amtszeit antreten möchte, mit seinem Satz meinen: „Der Fußball soll weitergehen.“

Der Fifa fehlt eine Philosophie der Ethik. Deshalb hat sie sie in eine Kommission verbannt.

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