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Sport: Die Kunst der Beleidigung

Trash Talk gehört in vielen Sportarten zur Taktik – oft provozieren die Besten auch am lautesten

Berlin - Eine der bekanntesten Geschichten des Trash Talks ereignet sich am Sonntag, dem 1. Juni 1997, in der Basketball-Profiliga NBA. Beim Stand von 82:82 und 9,2 verbleibenden Sekunden auf der Spieluhr erhält Karl Malone von den Utah Jazz zwei Freiwürfe. Er trägt den Spitznamen „Mailman“, weil er so zuverlässig wie ein Postbote die Punkte liefert. Bevor er wirft, flüstert ihm sein Gegenspieler Scottie Pippen von den Chicago Bulls ins Ohr: „Der Postbote liefert nicht am Sonntag.“ Prompt wirft Malone zweimal daneben – und Utah verliert.

Trash Talk, was wörtlich übersetzt „Müll-Reden“ heißt, wird in vielen Sportarten angewandt. Dabei wird der Gegner mit Worten provoziert, damit er sich nicht konzentrieren kann oder einen Fehler begeht. Im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft ist das dem Italiener Marco Materazzi erfolgreich gelungen. Er beleidigte Zinedine Zidane derart, dass sich der Franzose per Kopfstoß rächte – und vom Platz flog. Heute verkündet die Fifa-Disziplinarkommission ihr Urteil in diesem Fall (siehe Kasten).

Sogar im Schach gehört die verbale Provokation zur Taktik. Bobby Fischer hat einst seine Gegner am Brett verärgert, indem er vorgab, schmerzhaft hohe Töne zu hören. Im Tennis sind die Wutausbrüche John McEnroes legendär, mit denen er seine Gegenspieler nervte. Im Boxen beginnt der Trash Talk bereits vor dem ersten Schlag. Muhammad Ali war auch darin der Größte. Unter anderem beschimpfte er Sonny Liston als Analphabeten, „zu alt, um gegen mich zu gewinnen“.

„Manche Spieler denken, sie können die Gegner einschüchtern, indem sie in ihre Köpfe gelangen“, sagt der Sportpsychologe Jonathan Katz, der mit dem NBA-Team New Jersey Nets gearbeitet hat. Im Basketball stammt die Tradition des Trash Talks von der Straße, mit den Spieler aus den Ghettos kamen auch die Provokationen in die NBA. Zwar müssen Beleidigungen von den Schiedsrichtern geahndet werden, trotzdem gehört Trash Talk inzwischen sogar zur Show. „Manchmal langweile ich mich während des Spiels“, sagt der NBA-Profi Sam Cassell, „dann rede ich einfach.“

Doch es gibt kulturelle Unterschiede. In Asien gehört es sich nicht, den Gegner zu beleidigen. Der ehemalige NBA-Star Kareem Abdul-Jabbar veranstaltete 2005 in Schanghai ein Camp, um den Chinesen den aggressiveren amerikanischen Spielstil beizubringen. Seine Lektion beinhaltete auch die Kunst der wirkungsvollen Beleidigung.

Beim Eishockey gibt es in der nordamerikanischen Profiliga NHL robuste Spieler, die „Goon“ (in etwa „Schläger“) oder „Enforcer“ („Bezwinger“) genannt werden. Ihre vorrangige Aufgabe ist es, wichtige Spieler des Gegners so zu provozieren, dass sie vom Spielfeld fliegen. Oft spielen die Beleidigungen auf die Herkunft des Gegners an. Frankokanadier werden als „Frog“ bezeichnet, Skandinavier als „Chicken Swede“ und dunkelhäutige Spieler gar als „Monkey“ – inzwischen hat die Liga harte Strafen für rassistische Injurien eingeführt. Sven Felski, Profi beim Deutschen Eishockeymeister EHC Eisbären Berlin, glaubt, dass die Zeit der tumben Beleidigungen vorbei ist. „Mit der Mutter oder Schwester erschreckst du keinen mehr“, sagt Felski. „Das ist Kinderkram. Es ist üblicher, dass du den Gegner da packst, wo du weißt, dass es ihm wehtut.“ Biografische Daten seien da hilfreich. „Mich haben sie früher damit geärgert, indem sie sagten, dass ich niemals Deutscher Meister werde.“

Es fällt auf, dass die Besten ihrer Zunft wie Muhammad Ali, Michael Jordan oder John McEnroe gute Trash-Talker sind. Die Leistung muss offenbar stimmen, wenn die Sprüche nicht lächerlich wirken sollen. Das weiß inzwischen auch der Football-Spieler Hollywood Henderson, der vor dem Superbowl-Finale über den gegnerischen Quarterback Terry Bradshaw gesagt hat: „Er ist so dumm, er kann noch nicht einmal ,Cat‘ buchstabieren, wenn man ihm ein C und ein A vorgibt.“ Der Beleidigte schwieg – und führte anschließend sein Team mit vier Touchdowns zum Sieg. Das wäre auch für Zidane die richtige Antwort gewesen.

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